Simultan
Hugo: Unterschied zwischen den Versionen
Aus Simultan
Marcj (Diskussion | Beiträge) |
Marcj (Diskussion | Beiträge) |
||
(13 dazwischenliegende Versionen von 2 Benutzern werden nicht angezeigt) | |||
Zeile 1: | Zeile 1: | ||
− | + | '''Die Tür ist zu''' | |
+ | <br> | ||
− | + | "Die Tür ist zu", sagt Hugo, leise, kaum lauter als denken. Im Treppenhaus roch es nach Forelle und Bratkartoffeln, die Nachbarn im zweiten Stock waren katholisch und heute war Freitag. "Ich hab abgeschlossen, ich hab nach rechts abgeschlossen", sagt er, zieht den Schlüssel aus dem Schloss und lässt ihn in die linke Hosentasche gleiten. In die linke, nicht in die rechte. Bloß nicht in die rechte, da ist sein Handy, da darf nicht anderes rein, nur sein acht Monate altes, immernoch kratzerfreies Sony Ericsson. [[Handysocke|Und das soll auch so bleiben, da legt er Wert drauf.]] Mit Schutzfolie über dem Display fängt es an zu vibrieren. Nicht zerkratzen, nicht zerkratzen, denkt er, und zieht es aus der Tasche. Vorsichtig, er achtet darauf, dass seine Fingernägel das Display nicht zerkratzen, und doch schnell, aus Angst, das Display könnte sich, während des Vibrierens, an einer Naht seiner Jeans eine Art Laufmaschenkratzer zulegen. Hugo sieht, dass [[Frauke|Frauke]] anruft, geht aber nicht ran. Lautlos lässt er es in seiner rechten Hand vibrieren, während er mit der linken die Türklinke runterdrückt, stößt und zieht und stößt und zieht. Klingeltöne sind ihm zuwider, Geräusche allgemein. In seiner ganzen Wohnung, in seinem ganzen Leben ist keine einzige CD zu finden. Am Morgen hasst er die Vögel, am Abend die Fledermäuse. Seine [[Fenster|Fenster]] sind immer geschlossen, gäbe es die Explosion nicht, wenn man abdrückt, würde er sie alle abknallen. "Stoßen, ziehen. Stoooßen, Ziiehen." flüstert er, ein Papagei auf seiner Schulter hätte Probleme zu verstehen, was er sagt. "Die [[Tür|Tür]]! Ist! Zu!" Dann dreht er sich um, geht die erste Stufe runter, die zweite und die dritte, auf der vierten vergewissert er sich mit einem Schulterblick, dass die Tür auch wirklich zu ist, die Tür im Rahmen geschlossen und kein Spalt zu sehen. Fünf, sechs, sieben, acht, zählt er mit. Das Handy vibriert immernoch, er ignoriert das Vibrieren, weiß, was Frauke will, er denkt gar nicht dran, ranzugehen. Neun, zehn, Scheiße, denkt er, hab ich jetzt abgeschlossen oder nicht, denkt er, ich kann nicht anders. [[Hugos Nachbarin|'''Und geht wieder hoch''']], schließt die Tür auf und öffnet sie, um zu sehen, ob er auch wirklich abgeschlossen hatte. | |
− | "Die Tür ist zu", sagt Hugo, leise, kaum lauter als denken "Ich hab abgeschlossen, ich hab nach rechts abgeschlossen", sagt er, zieht den Schlüssel aus dem Schloss und lässt ihn in die linke Hosentasche gleiten. In die linke, nicht in die rechte. Bloß nicht in die rechte, da ist sein Handy, da darf nicht anderes rein, nur sein acht Monate altes, immernoch kratzerfreies Sony Ericsson. Und das soll auch so bleiben, da legt er Wert drauf. Mit Schutzfolie über dem Display fängt es an zu vibrieren. Nicht zerkratzen, nicht zerkratzen, denkt er, und zieht es aus der Tasche. Vorsichtig, er achtet darauf, dass seine Fingernägel das Display nicht zerkratzen, und doch schnell, aus Angst, das Display könnte sich, während des Vibrierens, an einer Naht seiner Jeans eine Art Laufmaschenkratzer zulegen. Hugo sieht, dass [[Frauke|Frauke]] anruft, geht aber nicht ran. Lautlos lässt er es in seiner rechten Hand vibrieren, während er mit der linken die Türklinke runterdrückt, stößt und zieht und stößt und zieht. Klingeltöne sind ihm zuwider, Geräusche allgemein. In seiner ganzen Wohnung, in seinem ganzen Leben ist keine einzige CD zu finden. Am Morgen hasst er die Vögel, am Abend die Fledermäuse. Seine Fenster sind immer geschlossen, gäbe es die Explosion nicht, wenn man abdrückt, würde er sie alle abknallen. "Stoßen, ziehen. Stoooßen, Ziiehen." flüstert er, ein Papagei auf seiner Schulter hätte Probleme zu verstehen, was er sagt. "Die Tür! Ist! Zu!" Dann dreht er sich um, geht die erste Stufe runter, die zweite und die dritte, auf der vierten vergewissert er sich mit einem Schulterblick, dass die Tür auch wirklich zu ist, die Tür im Rahmen geschlossen und kein Spalt zu sehen. Fünf, sechs, sieben, acht, zählt er mit. Das Handy vibriert immernoch, er ignoriert das Vibrieren, weiß, was Frauke will, er denkt gar nicht dran, ranzugehen. Neun, Scheiße, denkt er, hab ich jetzt abgeschlossen oder nicht, denkt er, ich kann nicht anders. Und geht wieder hoch, schließt die Tür auf und öffnet sie, um zu sehen, ob er auch wirklich abgeschlossen hatte. | + | |
− | + | ||
− | + |
Aktuelle Version vom 9. Januar 2009, 12:46 Uhr
Die Tür ist zu
"Die Tür ist zu", sagt Hugo, leise, kaum lauter als denken. Im Treppenhaus roch es nach Forelle und Bratkartoffeln, die Nachbarn im zweiten Stock waren katholisch und heute war Freitag. "Ich hab abgeschlossen, ich hab nach rechts abgeschlossen", sagt er, zieht den Schlüssel aus dem Schloss und lässt ihn in die linke Hosentasche gleiten. In die linke, nicht in die rechte. Bloß nicht in die rechte, da ist sein Handy, da darf nicht anderes rein, nur sein acht Monate altes, immernoch kratzerfreies Sony Ericsson. Und das soll auch so bleiben, da legt er Wert drauf. Mit Schutzfolie über dem Display fängt es an zu vibrieren. Nicht zerkratzen, nicht zerkratzen, denkt er, und zieht es aus der Tasche. Vorsichtig, er achtet darauf, dass seine Fingernägel das Display nicht zerkratzen, und doch schnell, aus Angst, das Display könnte sich, während des Vibrierens, an einer Naht seiner Jeans eine Art Laufmaschenkratzer zulegen. Hugo sieht, dass Frauke anruft, geht aber nicht ran. Lautlos lässt er es in seiner rechten Hand vibrieren, während er mit der linken die Türklinke runterdrückt, stößt und zieht und stößt und zieht. Klingeltöne sind ihm zuwider, Geräusche allgemein. In seiner ganzen Wohnung, in seinem ganzen Leben ist keine einzige CD zu finden. Am Morgen hasst er die Vögel, am Abend die Fledermäuse. Seine Fenster sind immer geschlossen, gäbe es die Explosion nicht, wenn man abdrückt, würde er sie alle abknallen. "Stoßen, ziehen. Stoooßen, Ziiehen." flüstert er, ein Papagei auf seiner Schulter hätte Probleme zu verstehen, was er sagt. "Die Tür! Ist! Zu!" Dann dreht er sich um, geht die erste Stufe runter, die zweite und die dritte, auf der vierten vergewissert er sich mit einem Schulterblick, dass die Tür auch wirklich zu ist, die Tür im Rahmen geschlossen und kein Spalt zu sehen. Fünf, sechs, sieben, acht, zählt er mit. Das Handy vibriert immernoch, er ignoriert das Vibrieren, weiß, was Frauke will, er denkt gar nicht dran, ranzugehen. Neun, zehn, Scheiße, denkt er, hab ich jetzt abgeschlossen oder nicht, denkt er, ich kann nicht anders. Und geht wieder hoch, schließt die Tür auf und öffnet sie, um zu sehen, ob er auch wirklich abgeschlossen hatte.