Simultan

Ein Leben als Bourriez

Aus Simultan

Als Aussentstehender ohne Namen, als einer unter 7 Milliarden, der hier liegt und an die in die Nacht getauchte Decke starrt, eine Decke, auch die stelle ich mir nur vor, hätte ein Leben verdient, das sichBourriez gewünscht haben könnte. Bourriez, der die langen Nächte mit Erzählungen durchzecht, sich betrinkt an Wort- und Satzbau, dieser Wörtermensch, dieser staubige Papiergott. Die Nacht um mich ist unendlich, so weit, dass ich mich darin verlaufe wie ein verlorenes Kind, wie ein Märchenfigur, auf der Suche nach Glück, im Wald. Ein Leben als Bourriez, ein Leben als Fiktion. Den Traum, sich selbst zu erfinden und in eigens gestalteten Kleidern durch das Leben zu stolzieren, träumt Bourriez jede Nacht von neuem, erfindet ihn jeden Tag aufs Neue und glaubt wieder und wieder der Erfinder einer originellen Idee gewesen zu sein, ein inspirierter Geist, ein Kreativkopf. Dabei hat er sich nur in seinen eigenen Narzismus verknotet und sitzt darin gefangen wie ein Spinnerich im Netz seiner Angebeten, die ihn, und das weiss er, nach erfahrenem Glück, aufs Genüsslichste verspeisen wird. Nein, darauf habe ich nun wirklich keine Lust, mag die Nacht noch so finster sein, die Hoffnungslosigkeit noch so trostlos, die schlafvernichtende Sinnsuche noch so sinnlos. Denn dass ich Bourriez bin, das weiss sowieso nur ich allein, und dabei wird es bleiben, solange die Zeit voranschreitet ohne mein Zutun, ohne einen Funken meines eigenen Willens. Was bleibt denn, ausser der Sprache ? Alles ist eine Frage der Wörter. Wo kein Wort ist, da ist auch nichts, und damit ist bereits meine Behauptung bewiesen, denn auch NICHTS ist ein Wort und bezeichnet etwas, nämlich das Unvorstellbare, das Unaussprechbare und deshalb nicht Existierende. Und wenn ich nun behaupte, dass Bourriez nicht existiert, dann beisst sich die Schlange des Wissens in den Schwanz. Vielleicht bringt dieser Zirkelschluss ein bisschen Ruhe in diese Nacht, in diese Leere, die sich mir Sprachmüll füllt wie eine geopferte Grube.