Simultan

Silvia trifft Daisy

Aus Simultan

Sie steht vor dem Zebrastreifen. Ein Auto fährt vorbei. Sie schimpft. Laut. Kein Wort zu verstehen. Wind öffnet ihren Mantel. Unter ihrem Sweatshirt, unter dem Bild von Daisy, der Comicfigur, fließen tiefhängende Brüste von links nach rechts und gegeneinander.
Ein Auto hält. Sie schaut es an. Hebt die Hand. Ihre Fingernägel gelb, der Länge nach braungelb gestreift, kantig abgebrochen, an den Brüchen eingerissen, einer fehlt, der Daumen endet in schwarzrotem Schorf.
Die Laute aus ihren weißverkrusteten Lippen schneller, schriller. Hinter der Frontscheibe zeigt der Fahrer auf den Zebrastreifen, winkt von rechts nach links. Weitere Autos halten. Ein Mädchen, die rote Schulmappe auf dem Rücken, betritt den Zebrastreifen von der anderen Seite. Die Frau macht einen Schritt in seine Richtung. Bleibt stehen. Hinten aus dem Turnschuh ragt die Ferse, nackt, grau, gelb. Das Mädchen schaut sie kurz an, macht einen Bogen.
Die Frau schleudert Haarsträhnen, nass glänzend von Fett, aus dem Gesicht, große Augen starren das Mädchen an, schwer umrahmt von Tränensäcken, tiefen Falten, schwarz gefüllt mit Schmutz, abgestorbenen Hautfetzen. Das Mädchen kommt näher, die Lippen schmal aufeinander gepresst, es riecht die Frau, riecht Käse, Schweiß, fettige Haaren, riecht seinen Finger, wenn es ihn im Ohr bohrte, den Haufen Dreckwäsche, in dem es seine Jeans suchte um aus der Tasche sein Messer zu holen, das braun getrocknete Blut auf der Unterhose seiner Mutter, die es dort fand.
Die Frau stößt die Hände in den Mantel. Das Mädchen duckt sich, geht schneller. Sie bewegt den Mund stumm.

Plötzlich reißt sie die Hände zu Fäusten geballt aus den Taschen, schleudert sie öffnend hinter dem Kind her, es rennt. Aber nichts fliegt durch die Luft, die Hände waren leer.
Sie alleine auf der Straße. Ein Auto hupt. Ein Mann steigt aus. Sie starrt ihn an. Geht geradeaus über den Zebrastreifen.