Simultan

Nadine an einem anderen Freitag

Aus Simultan

Seit Wochen habe ich eine Baustelle direkt unterm Fenster, von der ich morgens geweckt werde. Das ist wohl der Hahn der Neuzeit. Wecker brauche ich zumindest keinen. Also, heute wieder viel zu früh aufgewacht zum Hämmern und Stampfen der Maschinen draußen. Mich geärgert, weil ich heute ein Jobinterview hatte und man für so was ausgeschlafen sein sollte. Eine Installationsarbeit in Zürich. Das wäre was. Ein, zwei Espresso runtergekippt und mir gedacht: na wenn du schon so früh wach bist, dann musst du mit dem Tag auch was anfangen. Ich brauche unbedingt eine neue Lampe, die letzte ist bei meiner Umräumaktion in die Brüche gegangen. Bin also von einem Brockenhaus ins nächste geschlendert, aber nichts Passendes gefunden. Nur einen Hut für 14 Franken, den ich mir gekauft habe, einen richtig altmodischen Herrenhut, den werde ich an Weihnachten anziehen.

Viel in Fenster geschaut. Nicht nur Schaufenster. In dem Restaurant eines 5-Sterne Hotels saß eine alte Dame an einem Tisch. Gedacht: Ob sie wohl einsam ist, da so alleine zu sitzen? Es gibt tolle Fenster: pink umrandete, runde Bullaugen, bunt-bescheibte, fast wie Kirchenfenster, Vorhänge, die aus offenen Fenster wehen. Und hinter jedem dieser Fenster ist ein Leben, und man sieht nur ein Bruchstück davon, wenn überhaupt.

Ansonsten ist diese Stadt einfach häßlich und klein und selbst das Graffiti an den Wänden sieht alt und deprimiert aus.

Mit was man so seine Zeit vertrödeln kann. Plötzlich war es Viertel nach Zehn. Der Zug! Ich rannte. Verpasst. Ach du Scheiße. In Zürich angerufen und eine Absage erhalten, wenn man nicht mal rechtzeitig zum Termin kommen kann.... Wollen die Künstler oder Maschinen? Und: Wieso mache ich eigentlich immer dieselben Fehler?

Da steht dieser alte Herr und ich bitte ihn um eine Zigarette. Er sieht ziemlich grimig drein. Wohl auch den Zug verpasst oder umsonst auf jemanden gewartet, der den Zug verpasst hat. Aber er war nett genug, mir eine Zigarette zu geben. Stellt sich als Kommissär vor, der, von dem andauernd getratscht wird, er könne seinen Job nicht mehr machen. Psychisches Trauma und seitdem verlasse er sein Büro nicht mehr. Da sieht man mal wieder, wie viel an solchen Gerüchten dran ist. Da stand er, vor dem Bahnhof, und nicht in seinem Büro.

Geredet hat er allerdings nicht viel. Dafür andauernd Dinge in ein Notizbuch notiert. Das muss man als Kommissär wahrscheinlich, oder es ist einfach eine Angewohnheit, aber ein wenig seltsam war das schon. Ich kam mir beobachtet vor.

Keine Ahnung, wie ich auf die Idee gekommen bin, ihn zu fragen, ob er mit mir einen Kaffee trinken gehen würde. Die Neugierde wahrscheinlich. Wollte wissen, wie er denn so ist, der Herr Kommissär, über den man so viel hört und den man niemals sieht. Eine einmalige Chance sozusagen, und ich habe sie ergriffen.

Wir sind also ins Odeon, das allerding sehr voll war, kein Tisch frei. Wir mussten uns zu anderen Cafe-Sitzern dazusetzen, was einem Gespräch nicht sehr dienlich war. Erfahren habe ich über den Kommissär so gut wie nichts.

Um so mehr habe ich über unsere Tischmitsitzer erfahren: ein Lastwagenfahrer und ein Jazz-Musiker, die sich anscheinend auch gerade erst zufällig getroffen hatten. Beide Francophonenten. Ihr Deutsch zum Glück besser als mein Französisch. Echt nette Kerle. Wollen vielleicht nächstes Wochenende gemeinsam zu Benoîts Konzert gehen. Benoît ist der Jazzer. Der andere heißt Bourriez. Der konnte noch nicht zusagen, denn er hat eine Frau zu Hause , wie alle gut aussehenden Männer Frauen zu Hause haben. Roland hat Anne.

Benoît kennt Anne übrigens. Da sieht man mal wieder, wie klein diese Stadt ist.


Was danach geschah.