Simultan

Mauvais Café / Schlechter Kaffee

Aus Simultan

Version vom 2. Dezember 2011, 12:09 Uhr von Wiebkez (Diskussion | Beiträge)

Der Schreibtisch ist groß, dunkle Buche. An der Wand hängen Klassenfotos von seinen Kindern. Ein Mädchen, zwei Jungen.
Die Montagsbesprechung heute ist etwas Besonderes: Heute hat Ewa etwas zu sagen. Wenigstens einmal.

Der große Coup, nie wieder Heftklammern nach Farben sortieren Blumen gießen Tage am Kopierer.

- Guten Morgen, Fräulein Ewa.
- Guten Morgen, Herr S.
- Geht es Ihnen gut, Fräulein Ewa? Was steht diese Woche an?
- Die Abteilung Internationales hat Fragen zum Budget für November und Dezember. Ich habe Ihnen eine Auflistung gemacht. Wir sollten bis Freitag geantwortet haben.
- Bis Freitag? Soso. Fraulein Ewa, könnten Sie mir vielleicht eine Tasse Kaffee bringen? Mein Herz schlägt so langsam heute.

Sie geht. Lässt ihre Papiere auf dem Tisch liegen. Zig… Valerii beugt sich vor, schiebt die oberen Papiere zur Seite. Darunter handschriftliche Notizen. Säuberlich, gut lesbar: Alles Material zum Zigarettenschmuggel an der Schengengrenze. Namen. Namen! Seine Augen überfliegen die Liste. Nichts Nennenswertes. Dzanna, Arsen. Kleinvieh. Gögor Savchenko, der – wer war das noch gleich?, ach ja: der Lockführer. Gott, wer kennt seine Rinder beim Namen. Als hätten die kleinen Schräubchen im großen Getriebe irgendeine Relevanz. Die Ersatzteile stehen Tag für Tag an den Bahnsteigen und bettelten darum, endlich verwendet zu werden. Eva kommt zurück.

Der Kaffee ist schwarz und süß, wie Valerii ihn liebt. Schade, dass er in Zukunft darauf verzichten müsse. Neue Sekretärinnen servieren wochenlang braune Scheiße, ehe der Kaffee schmeckt.

- Haben sie sonst noch etwas zu berichten?
- Herr S., ich muss mit Ihnen reden!
- Aber was regen Sie sich denn so auf, wir reden doch schon.
Er bemerkt ihre Anspannung. Als ginge sie das Ganze mehr an als ihn.
- Herr S, ich habe eine Entdeckung gemacht! Sie erinnern sich, ich hatte letzte Woche Urlaub. Ich bin mit dem Zug nach Kiew gefahren und zurück. Herr S, was da abläuft, kann doch nicht wahr sein! In aller Seelenruhe verstecken die Menschen Zigarettenstangen in allen Ecken und Enden der Züge. Die Grenzkontrollen sind ein Witz. Da müssen wir etwas tun! Ich habe deshalb, verzeihen Sie, ich habe mir angemaßt, eine kleine Liste zusammenzustellen mit Kontaktpersonen, über die man tiefer in das Feld vordringen könnte. Vielleicht könnte ich … ?

Valerii räuspert sich.
- Gute Arbeit, Fräulein Ewa! Wirklich! Das hätte ich gar nicht von Ihnen gedacht!
Hat er den letzten Satz gesagt oder gedacht?

- Ich werde die Materialien – darf ich …
Er langt nach den Papieren.
- … sofort den Kollegen überstellen! Wirklich, gute Arbeit!
Valerii reibt sich mit der linken Hand den Hals. Faltig ist er geworden.
- Fräulein Ewa?
- Ja?
- Es tut mir leid, Ihnen das sagen zu müssen. Gerade jetzt, wo sie so gute Arbeit geleistet haben. Wir müssen sparen. Man hat mir aufgetragen, die Kosten meiner Abteilung bis Jahresende zu halbieren. Das ist schierer Wahnsinn. Und ich kann die Leute draußen von ihren Fällen nicht abziehen, ohne den Erfolg unserer Unternehmungen zu gefährden. Sie, Sie werden verstehen, Fräulein Ewa, dass meine Wahl auf Sie gefallen ist. Sie sind jung, bestens ausgebildet – und wie sie gerade gezeigt haben, können Sie auch wunderbar recherchieren. Ich bin fest davon überzeugt, dass Sie mühelos eine neue Stelle finden werden. Es tut mir leid.