Simultan

Leid und Schmerz und 40 Hoffnungsjahre

Aus Simultan


Irina fei-irrt Geburtstag. Lachend. Tanzend. Zur Musik von The Velvet Underground. Die dunkle Stimme von Nico. Aus einem zerbrochenen Sektglas trinkend. Die scharfen Ränder des Glases angenehm rau auf Irinas Lippen. Ungeschminkte Lippen. Und doch rot. Rot vom Blau ihres Blutes. Irina dreht sich. Sie ist nicht betrunken. Zum ersten Mal sieht sie alles ganz nüchtern. Kleider liegen auf dem Boden. Transparente Stoffe, Lochmuster, glänzende Fasern voller Schönheit. Stickereien schmiegen sich weich an Gewebe, wie Texte über eine Melodie gleiten. „And what costumes shall the poor girl wear, to all tomorrow’s parties?” dröhnt es aus Irina’s Kehle. Blutiger Kehle. Irina vermischt das glänzende Dunkel der Kleider mit etwas Blau. Sie würde keine Kostüme mehr tragen. Keine Fassade mehr aufrecht erhalten. Sie wollte um ihretwillen gehasst und geliebt werden. Irinas Liebe war schwarz, Absorption aller Farben, nicht wie die bunten Papierschmetterlinge, die man überall fangen konnte. „Das Blut der Sensibilität ist blau.“ sagt Yves Klein. Matteos Blut war indigofarben. War es gewesen. Bis sie es aus seinen Adern gesaugt hatte, aus seiner zarten Haut. Wie sie mit ihren Händen danach gegriffen hatte. Sie blickt in einen zerbrochenen Spiegel, den sie nicht versteht. Rote Striemen auf glühendem Weiss. Irina hatte sich von allem abgewendet, was ihr einst etwas bedeutet hatte. Schuld, die sie auf sich geladen hatte. Versprechen. Ihr Spiegelbild entsprach nicht der Wahrheit. Die herausgerissenen Tagebuchseiten, gefüllt mit der Schrift eines rebellischen Mädchens, mit welchen sie das starre Meer verhängte, taten es.

„I’ll be your mirror.“ tönt es aus dem Hintergrund, als er vor ihr steht. Irina anblickt. Sie die ganze Zeit anblickt, während er ihre Hand nimmt, dieser eine grüne Glasscherbe entnimmt, sie zu seinem Unterarm führt, auf welchem das Grün in olivfarbenes Fleisch eintaucht, wieder auftaucht in sanften Indigoströmen, die einen abstrakt roten Stern umspülen. Dann ein zurückwogendes Grün, welches leicht Irinas Unterarm erfasst, roter Schaum auf blauem Grund, die Geburt eines Sterns. Alles trennte sie. Herkunft, Alter, Bildung … Alles war Unvernunft. Alles war abstraktes Verlangen geboren aus dem Gleichklang ihrer Seelen. Das Blut der Sensibilität ist blau. Das Blut der Seele ist indigofarben gefangen in einem Körper aus roter Leidenschaft. Irina sucht nach Worten, die Matteos Geste erwidern können, und findet Zeilen von Salman Rushdie:


Wait on,
beloved innocent,
for I am the Goddess
who knows your secret heart,
and I will surely give you
everything you need
and more.

Wait just some while,
And then until death,
I will be your mirror,
yourself’s other self,
your equal,
your empress
and your slave.



Er verstand. Sie und Matteo und Franz, und die Wahrheit über seinen Vater, den Kommissär. Konnten diese gestrandeten Personen nicht eine obskure kleine Addams Family werden?






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