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Das Märchen vom Topfenstrudel

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Der Königssohn mit den vielen Namen

Ein Märchen aus Ungarn

Es war einmal – jenseits von siebenmal sieben Ländern – ein Königssohn. Und dieser Königssohn war ein schmucker, stattlicher Bursche. Aber, wer weiß warum, trotzdem wollte ihm der König des Nachbarlandes seine Tochter nicht geben, obwohl sie für den Königssohn eine aufrichtige Zuneigung zeigte. Ach, wie sich der Königssohn! Er wagte nicht einmal in sein Land zurückzukehren und blieb dort im Land der Königstochter. Er nahm Quartier vor der Stadt in einer Gastherberge und rührte sich vier Wochen nicht aus dem Haus, grübelte Tag und Nacht und zerbrach sich den kopf, was zu tun sei.

Dann verkleidete er sich als Barbiergesell und begab sich geradewegs zum königlichen Palast. Er wollte durchs erste Tor eintreten, doch der Pförtner hielt ihn an.
„He, halt da! Wie heißt du?“
„Schnaps heiß’ ich“, antwortete der Königssohn.
„Du Hin- und Hergelaufener du, mach, dass du fortkommst!“ fuhr ihn der Pförtner an.
Der Königssohn verzog sich, ging zum anderen Tor, doch auch dort hielt ihn der Pförtner an:
„Was willst du? Wie heißt du?“
„Irgendsoetwas“, antwortete der Königssohn.
„Na, so einen Namen habe ich ja noch nie gehört!“ sagte der Pförtner. „Tätest gut daran, dich fortzuscheren; ich merke schon, du führst nichts Gutes im Schilde.“
Der Königssohn schlich sich weg, doch versuchte er sein Glück noch beim dritten Tor. Dort fragte ihn der Pförtner:
„Wie heißt du?“
„Ich heiße Vorvierwochen.“
„Na, so einen Namen habe ich bisher noch nicht gehört und höre ihn sicher auch nicht wieder. Was willst du? Was ist dein Handwerk?“
„Bin Barbiergesell und möchte den König rasieren. Ich weiß bestimmt, so hat ihn noch keiner rasiert; bis an sein Lebensende wird er daran denken!“
„Nun, wenn du wirklich so ein berühmter Barbier bist, dann tritt nur ein, du wirst beim König dein gutes Brot verdienen.“

Der Königssohn ging hinein, aber nicht geradewegs zu dem König, sondern er trat erst noch in die Küche ein.
Da fragte ihn die Köchin: „Wen sucht ihr, mein Lieber? Und wie ist euer Name?“
„Kater ist mein Name, Köchin.“
„Oh! Einen Knuff von der Katze, habt ihr aber einen komischen Namen!“
„Ist die Königstochter zuhaus?“
„Freilich ist sie zuhaus, mein Lieber, sie rührt sich ja nicht aus der Stube, heult Tag und Nacht.“
„Warum heult sie denn?“
„Weil sie den Königssohn nicht haben konnte, der vor vier Wochen hier war.“
„Nun, von diesem Königsohn komme ich gerade, ich habe einen Brief für das Fräulein. Ich weiß bestimmt, sie tröstet sich, wenn sie ihn liest.“
„Nun dann tragt ihn nur hin, mein Lieber.“
Sie zeigte im den Weg; bei der Türe aber drehte sich der Königssohn noch um. „He, Köchin, was gibt’s zum Abendessen? Ich komme dann wieder!“
„Topfenstrudel, mein Lieber, kommt nur, Ihr seid herzlich willkommen!“
Darauf entfernte sich der Königssohn, schlich durch siebenmal sieben Zimmer, bis er zur Kammer der Königstochter kam. Wirklich, die Köchin hatte die Wahrheit gesagt, auch jetzt weinte die Königstochter, ganz rot waren ihre Augen vom vielen Weinen. „Guten Tag, trauriges Fräulein!“ grüßte sie der Königssohn. Die Königstochter schreckte auf:
„Was willst du, wer bist du?“
Topfenstrudel ist mein Name, schönes Fräulein, erschreckt nicht meinetwegen!“
„Topfenstrudel? Na so einen Namen habe ich mein Lebtag nicht gegessen!“ rief die Königstochter aus und brach in schallendes Gelächter aus, das man im ganzen Palast hören konnte.
„Und warum bist du gekommen, Topfenstrudel?“ fragte ihn die Königstochter, nachdem sie sich von Herzen ausgelacht hatte.
„Schau mich gut an, Königsfräulein, erkennst du mich nicht?“
Da erst schrie die Königstochter laut auf: „Weh mir! Wie wagst du es herzukommen. Dein Leben ist verloren und auch das meine, wenn es mein Vater erfährt!“
Aber was sollte sie schon tun? Sie brachte es nicht übers Herz, den Königssohn fortzuschicken. Der blieb denn auch bis zum Abend bei ihr. Sie plauderten zärtlich miteinander und berieten, wie des Königs Herz zu erweichen wäre. Abends nahm der Königssohn Abschied von ihr; die Nacht verbrachte er in der Küche, doch kam ihm, gleich der Königstochter, die ganze Nacht kein Schlaf über die Augen. 

Am Morgen ging die Königin hinein zu ihrer Tochter und sah, wie blaß ihr Antlitz ist. Sie schlug die Hände zusammen:
„O meine Herzenstochter, was ist dir Übles widerfahren?“
Sagte die Königstochter: „Nichts Übles ist mir widerfahren, süße Mutter, hab’ bloß nicht schlafen können – wegen Topfenstrudel.“
Unterdessen ging der Königssohn zu den König und bot ihm seine Dienste als Hofbarbier an, er verstehe es so zu barbieren wie kein anderer Barbier der Welt.
„Wie heißt du denn?“ fragte ihn der König.
„Irgendsoetwas“, antwortete der Königssohn.
„Nun denn, Irgendsoetwas, stutz mir die Haare und rasier mich. Wenn mir deine Arbeit gefällt, kannst du an meinem Hof ein herrliches Leben führen.“
Der König setzte sich auf einen Stuhl, und der Königssohn fing mit dem Stutzen der Haare an. Allein, er stutzte die Haare bloß an einer Seite und rasierte ihn auch bloß an einer Seite. Danach, ohne Worte, ohne Rede, klappte er die Schere zusammen, auch das Rasiermesser und sprang zur Tür hinaus. Der König schoß in die Höhe, rannte zum Spiegel, besah sich drin und fing zu brüllen an. Sein Kopf war aber auch scheußlich anzusehen!

„Wart nur, du Lump!“ brüllte der König und rannte von Stube zu Stube.
Als erstes begegnete ihm seine Tochter: „Hast du Irgendsoetwas gesehen?“
„Ach, habe nichts gesehen, ich sehe ja nicht aus den Augen, wegen Topfenstrudel habe ich die ganze Nacht nicht geschlafen!“
Da rannte der König in die Küche: „Hast du nicht Irgendsoetwas gesehen?“
„Nein, mein König, aber der Kater ist eben vorbeigelaufen.“
„Sind alle verrückt geworden? Alle reden sie ungereimtes Zeug!“
Dann rannte der König zu dem dritten Pförtner: „Hast du nicht Irgendsoetwas gesehen?“
„Irgendsoetwas? Nein, aber eben lief Vorvierwochen hier vorbei.“
„Narr!“ brüllte der König und versetzte ihm einen tüchtigen Hieb.
Weiter ging es zum zweiten Pförtner: „Hast du nicht Irgendsoetwas gesehen?“
„Ja, gewiß habe ich ihn gesehen, mein König, eben lief er zum ersten Tor.“
„Na, endlich vernimmt man ein verständiges Wort.“
Der König rannte zum ersten Pförtner hin. Der wälzte sich auf dem Boden und stöhnte laut. Der Königssohn hatte ihn nämlich niedergeschlagen, weil er ihn nicht hinauslassen wollte.
„Hast du nicht Irgendsoetwas gesehen?“
„Ich habe ihn nicht gesehen, mein König.“
„Was liegst du da auf der Erde?“
„Der Schnaps hat mich umgeworfen.“
„Ei, du hergelaufener Lumpenmensch, soviel Schnaps trinkst du, dass es dich umwirft?“
Der König bleute den Pförtner schändlich durch und ging in den Palast zurück.
Dort kam es allmählich heraus, dass der verkleidete Barbier kein anderer als der Königssohn gewesen ist. Na, was konnte der König schon tun? Er dachte: „Der Königssohn ist imstande, und macht mich noch vor aller Welt zu Gespött! Besser, ich gebe ihm gleich die Tochter zur Frau.“
Er ließ dem Königssohn ausrichten, er solle nur getrost kommen, denn er bekäme nun die Königstochter zur Frau. Der Königssohn war auch sofort zur Stelle, und noch am selben Tag hielt er Hochzeit. So ist der Königssohn mit den vielen Namen am Ende doch zu einer Frau gekommen. Wie er mit richtigem Namen hieß? Ach, ich habe ihn nicht danach gefragt.

aus: Gorbach, Rudolf P. et al. (1985): Das Märchenjahr: zauberhafte Märchen aus aller Welt. München: Franz Schneider Verlag