Simultan

20071201

Aus Simultan

Version vom 2. Dezember 2007, 14:57 Uhr von Urs (Diskussion | Beiträge)

C., 11 Monate und 23 Tage alt, macht ihre ersten selbständigen Schritte auf dieser Erde – ein kleiner Schritt für die Welt, ein grosser Schritt für C. – und fällt wieder und wieder rückwärts auf den Hintern, während ihr Bruder O., gerade 8 Jahre alt geworden, alle paar Minuten wie von einer Wespe gestochen an die Tür rennt und den Knopf des automatischen Türöffners drückt, dann wieder von der Küche ins Wohnzimmer hetzt und zurück, um Popkorn und Limonade aufzustellen für die geladenen Gäste. 7 Buben so alt wie er, in zerfransten Jeans, ungebundenen Pumps, offenen Kapuzenjacken, mit zerzausten Köpfen und schmutzigen Fingernägeln. Einer nach dem andern fahren sie mit dem Lift hoch und stürzen herein, werfen sich gegenseitig aufs Sofa, zerren an den Jacken und Haaren, holen mit der Rechten zu mehr als kumpelhaften Schlägen und Würgegriffen aus, während sie die Linke in die Popkornschüssel tauchen und sich damit den Mund vollstopfen. Aber dann werden Geburtstagsgeschenke aufgerissen, „silence!“, ritsch-ratsch, eins nach dem andern: drei Bücher, ein Plastikmonster, ein Familienspiel, ein Schatzsuchersandstein zum Zerlegen, Kaufgutscheine. So.
Dann geht`s ab, fort aus diesem von Popkorn, Jacken, Schuhen und Geschenkpapier übersäten Wohnzimmer hinaus Richtung Hallenbad, wo wir diese ungezämte Bande ins Wasser werfen und eine Weile plantschen lassen. Zur Feier des Tages wird sogar das Sprungbrett, erst das 1-Meter, dann das 3-Meter, geöffnet, wo es endgültig um die Ehre eines jeden einzelnen geht. Denn von einem 3-Meter-Brett springt man nicht nur mit dummen Sprüchen und flapsigen Fausthieben. Angetrieben von den feurigen Rufen der andern, stürzt ich jeder selbst in den freien Fall und ist für eine Sekunde ganz sich selbst überlassen, wird zum fliegenden, einsamen Fou de la place, schwebend zwischen dem unendlichen Universum und dem kühlen, terrestrischen Nass, so wehrlos und dem Spiel der Kräfte ausgeliefert wie C., die sich in der Zwischenzeit bereits wieder ein paar dutzend Male auf ihre noch so kleinen, krummen Beine hoch gearbeitet, den Kampf gegen den freien Fall aufgenommen, diesen jedoch ebenso viele Male wieder verloren hat.