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Aarons Heft: Unterschied zwischen den Versionen

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Sie blättert darin. Nur wenige Seiten sind mit Notizen gefüllt, ein Grossteil des Heftes ist leer. Sie könnte es für ihr eigenes Schreiben benützen. Hhm, wieso eigentlich nicht, denkt Maus und lässt das Ding in ihrem blauweissn Seesack verschwinden. Kurz daraufhin hört sie Schritte, sie blickt auf und er steht vor ihr: Rundes Gesicht; Brille, die den Eindruck macht, als drohe sie sogleich von der Nasenspitze zu rutschen; trübe Augen; Glatze. Alles in allem sieht Aaron Schmitt ungefähr so aus, wie sie ihn sich vorgestellt hatte. Nur die braune Hose und die braune Veste stimmten nicht mit dem erwarteten Bild überein. Sie hatte ihn stets ganz in schwarz gekleidet vor sich gesehen, durch und durch intellektuell. Diese Ausgabe hier hingegen, kommt ihr nun schon fast etwas verstaubt vor. <br>«Alors, kleptomane?»<br>Sollte das jetzt eine witzige Begrüssung sein oder wie? Trotzig hält Maus seinem Blick stand.<br>«Ja», sagt sie kurz und knapp. <br>«Interessant. Schwierig, schwierig ...Bitte nicht stehlen hier!»<br>«Jetzt? Nein!», lächelt sie ihm verschmitzt entgegen.<br>«Wann haben Sie angefangen zu stehlen?» <br>Mais greift sich seitlich an den Kopf, zwirbelt eine rote Haarsträhne um ihren Zeigefinger, lässt sie wieder fallen, zieht schliesslich ihre Tasche näher zu sich ran, verschränkt die Arme vor der Brust.<br>«Ich weiss nicht», beginnt sie zögernd, «ich weiss nicht, ob man es stehlen nennen kann ...Es ist mehr ...eine Art... Sammeln.»<br>«Könnten Sie sich in dem Fall keine Briefmarkensammlung zulegen statt zu stehlen?»<br>Briefmarken – war das jetzt sein Ernst? Dieser verstaubte Clown.<br>«Briefmarken interessieren mich nicht ...», sagt sie und zögert dann einen kurzen Moment lang, weil sie sich überlegt, dass sich eine Briefmarkensammlung allenfalls doch ganz gut weiterverkaufen liesse. <br>«Jedenfalls nicht im Speziellen.»<br>Schmitt runzelt die Stirn. «Haben Sie denn das Gefühl, dass Ihnen etwas fehlt?» <br>Geld, Glück, Ferien, Freizeit, eine eigene Wohnung, Talent, Kleider, Eltern und so weiter, schiesst es Maus durch den Kopf.<br>«Nein, nicht wirklich.» Sie spricht mit bewusst ruhiger Stimme.<br>«Wie fühlen Sie sich denn jetzt im Moment?<br>Maus zögert mit der Antwort. Wie sie sich fühlt? Wann hatte sie das zuletzt jemand gefragt? Das überlegt sie sich, während sie auf die gerahmte Urkunde hinter Schmitts Kopf starrt. Erst nach einer Weile nimmt sie wahr, was dort überhaupt geschrieben steht: Aaron Schmitt, Diplom Psychoanalytiker, mit Vertiefung in Zwangsneurotik. Ach, denkt sie, immerhin hat er es zu was gebracht. Ganz im Gegensatz zu mir. Ich, ich bin noch nicht mal soweit, dass ich wüsste, was ich studieren sollte. Vielleicht bin ich ja nicht mal dumm, mag sein. Aber gleichzeitig habe ich auch für nichts wirklich Talent. Nicht genügend jedenfalls. Wie ich mich wohl bei alledem fühle?<br>«Normal.», lügt sie seinem forschendem Gesicht entgegen. <br>«Was meinen sie damit, normal? Normal? Wollen Sie mich in dem Fall bestehlen?»<br>Nur einen ganz kleinen Moment lang könnte Maus platzen vor lauter Schadenfreude. Sie befühlt das Heft durch den Stoff ihrer Tasche.<br>«Nein, nicht nötig.», antwortet sie.<br>«Gut. Also ...Dann möchte ich jetzt, dass Sie sich auf das nächste Mal überlegen, weshalb Sie stehlen. Und ich möchte, dass Sie jedes Mal bevor Sie etwas stehlen wollen, sich die Person vor Augen führen, die Sie gerade vorhaben zu bestehlen und sich dann überlegen, ob es tatsächlich nötig ist. Abgemacht?»<br>Hausaufgaben? Ist das so üblich bei Psychiatern?<br>«Wenn es denn sein muss.»<br>«Gut. Dann lassen Sie sich von Fr. Haggebutten einen Termin geben draussen und dann sehen wir uns wieder.»
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Sie blättert darin. Nur wenige Seiten sind mit Notizen gefüllt, ein Grossteil des Heftes ist leer. Sie könnte es für ihr eigenes Schreiben benützen. Hhm, wieso eigentlich nicht, denkt Maus und lässt das Ding in ihrem blauweissen Seesack verschwinden. Kurz daraufhin hört sie Schritte, sie blickt auf und er steht vor ihr: Rundes Gesicht; Brille, die den Eindruck macht, als drohe sie sogleich von der Nasenspitze zu rutschen; trübe Augen; Glatze. Alles in allem sieht Aaron Schmitt ungefähr so aus, wie sie ihn sich vorgestellt hatte. Nur die braune Hose und die braune Veste stimmten nicht mit dem erwarteten Bild überein. Sie hatte ihn stets ganz in schwarz gekleidet vor sich gesehen, durch und durch intellektuell. Diese Ausgabe hier hingegen, kommt ihr nun schon fast etwas verstaubt vor. <br>«Alors, kleptomane?»<br>Sollte das jetzt eine witzige Begrüssung sein oder wie? Trotzig hält Maus seinem Blick stand.<br>«Ja», sagt sie kurz und knapp. <br>«Interessant. Schwierig, schwierig ...Bitte nicht stehlen hier!»<br>«Jetzt? Nein!», lächelt sie ihm verschmitzt entgegen.<br>«Wann haben Sie angefangen zu stehlen?» <br>Mais greift sich seitlich an den Kopf, zwirbelt eine rote Haarsträhne um ihren Zeigefinger, lässt sie wieder fallen, zieht schliesslich ihre Tasche näher zu sich ran, verschränkt die Arme vor der Brust.<br>«Ich weiss nicht», beginnt sie zögernd, «ich weiss nicht, ob man es stehlen nennen kann ...Es ist mehr ...eine Art... Sammeln.»<br>«Könnten Sie sich in dem Fall keine Briefmarkensammlung zulegen statt zu stehlen?»<br>Briefmarken – war das jetzt sein Ernst? Dieser verstaubte Clown.<br>«Briefmarken interessieren mich nicht ...», sagt sie und zögert dann einen kurzen Moment lang, weil sie sich überlegt, dass sich eine Briefmarkensammlung allenfalls doch ganz gut weiterverkaufen liesse. <br>«Jedenfalls nicht im Speziellen.»<br>Schmitt runzelt die Stirn. «Haben Sie denn das Gefühl, dass Ihnen etwas fehlt?» <br>Geld, Glück, Ferien, Freizeit, eine eigene Wohnung, Talent, Kleider, Eltern und so weiter, schiesst es Maus durch den Kopf.<br>«Nein, nicht wirklich.» Sie spricht mit bewusst ruhiger Stimme.<br>«Wie fühlen Sie sich denn jetzt im Moment?<br>Maus zögert mit der Antwort. Wie sie sich fühlt? Wann hatte sie das zuletzt jemand gefragt? Das überlegt sie sich, während sie auf die gerahmte Urkunde hinter Schmitts Kopf starrt. Erst nach einer Weile nimmt sie wahr, was dort überhaupt geschrieben steht: Aaron Schmitt, Diplom Psychoanalytiker, mit Vertiefung in Zwangsneurotik. Ach, denkt sie, immerhin hat er es zu was gebracht. Ganz im Gegensatz zu mir. Ich, ich bin noch nicht mal soweit, dass ich wüsste, was ich studieren sollte. Vielleicht bin ich ja nicht mal dumm, mag sein. Aber gleichzeitig habe ich auch für nichts wirklich Talent. Nicht genügend jedenfalls. Wie ich mich wohl bei alledem fühle?<br>«Normal.», lügt sie seinem forschendem Gesicht entgegen. <br>«Was meinen sie damit, normal? Normal? Wollen Sie mich in dem Fall bestehlen?»<br>Nur einen ganz kleinen Moment lang könnte Maus platzen vor lauter Schadenfreude. Sie befühlt das Heft durch den Stoff ihrer Tasche.<br>«Nein, nicht nötig.», antwortet sie.<br>«Gut. Also ...Dann möchte ich jetzt, dass Sie sich auf das nächste Mal überlegen, weshalb Sie stehlen. Und ich möchte, dass Sie jedes Mal bevor Sie etwas stehlen wollen, sich die Person vor Augen führen, die Sie gerade vorhaben zu bestehlen und sich dann überlegen, ob es tatsächlich nötig ist. Abgemacht?»<br>Hausaufgaben? Ist das so üblich bei Psychiatern?<br>«Wenn es denn sein muss.»<br>«Gut. Dann lassen Sie sich von Fr. Haggebutten einen Termin geben draussen und dann sehen wir uns wieder.»  
 
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Version vom 14. Oktober 2010, 20:27 Uhr

Sie blättert darin. Nur wenige Seiten sind mit Notizen gefüllt, ein Grossteil des Heftes ist leer. Sie könnte es für ihr eigenes Schreiben benützen. Hhm, wieso eigentlich nicht, denkt Maus und lässt das Ding in ihrem blauweissen Seesack verschwinden. Kurz daraufhin hört sie Schritte, sie blickt auf und er steht vor ihr: Rundes Gesicht; Brille, die den Eindruck macht, als drohe sie sogleich von der Nasenspitze zu rutschen; trübe Augen; Glatze. Alles in allem sieht Aaron Schmitt ungefähr so aus, wie sie ihn sich vorgestellt hatte. Nur die braune Hose und die braune Veste stimmten nicht mit dem erwarteten Bild überein. Sie hatte ihn stets ganz in schwarz gekleidet vor sich gesehen, durch und durch intellektuell. Diese Ausgabe hier hingegen, kommt ihr nun schon fast etwas verstaubt vor.
«Alors, kleptomane?»
Sollte das jetzt eine witzige Begrüssung sein oder wie? Trotzig hält Maus seinem Blick stand.
«Ja», sagt sie kurz und knapp.
«Interessant. Schwierig, schwierig ...Bitte nicht stehlen hier!»
«Jetzt? Nein!», lächelt sie ihm verschmitzt entgegen.
«Wann haben Sie angefangen zu stehlen?»
Mais greift sich seitlich an den Kopf, zwirbelt eine rote Haarsträhne um ihren Zeigefinger, lässt sie wieder fallen, zieht schliesslich ihre Tasche näher zu sich ran, verschränkt die Arme vor der Brust.
«Ich weiss nicht», beginnt sie zögernd, «ich weiss nicht, ob man es stehlen nennen kann ...Es ist mehr ...eine Art... Sammeln.»
«Könnten Sie sich in dem Fall keine Briefmarkensammlung zulegen statt zu stehlen?»
Briefmarken – war das jetzt sein Ernst? Dieser verstaubte Clown.
«Briefmarken interessieren mich nicht ...», sagt sie und zögert dann einen kurzen Moment lang, weil sie sich überlegt, dass sich eine Briefmarkensammlung allenfalls doch ganz gut weiterverkaufen liesse.
«Jedenfalls nicht im Speziellen.»
Schmitt runzelt die Stirn. «Haben Sie denn das Gefühl, dass Ihnen etwas fehlt?»
Geld, Glück, Ferien, Freizeit, eine eigene Wohnung, Talent, Kleider, Eltern und so weiter, schiesst es Maus durch den Kopf.
«Nein, nicht wirklich.» Sie spricht mit bewusst ruhiger Stimme.
«Wie fühlen Sie sich denn jetzt im Moment?
Maus zögert mit der Antwort. Wie sie sich fühlt? Wann hatte sie das zuletzt jemand gefragt? Das überlegt sie sich, während sie auf die gerahmte Urkunde hinter Schmitts Kopf starrt. Erst nach einer Weile nimmt sie wahr, was dort überhaupt geschrieben steht: Aaron Schmitt, Diplom Psychoanalytiker, mit Vertiefung in Zwangsneurotik. Ach, denkt sie, immerhin hat er es zu was gebracht. Ganz im Gegensatz zu mir. Ich, ich bin noch nicht mal soweit, dass ich wüsste, was ich studieren sollte. Vielleicht bin ich ja nicht mal dumm, mag sein. Aber gleichzeitig habe ich auch für nichts wirklich Talent. Nicht genügend jedenfalls. Wie ich mich wohl bei alledem fühle?
«Normal.», lügt sie seinem forschendem Gesicht entgegen.
«Was meinen sie damit, normal? Normal? Wollen Sie mich in dem Fall bestehlen?»
Nur einen ganz kleinen Moment lang könnte Maus platzen vor lauter Schadenfreude. Sie befühlt das Heft durch den Stoff ihrer Tasche.
«Nein, nicht nötig.», antwortet sie.
«Gut. Also ...Dann möchte ich jetzt, dass Sie sich auf das nächste Mal überlegen, weshalb Sie stehlen. Und ich möchte, dass Sie jedes Mal bevor Sie etwas stehlen wollen, sich die Person vor Augen führen, die Sie gerade vorhaben zu bestehlen und sich dann überlegen, ob es tatsächlich nötig ist. Abgemacht?»
Hausaufgaben? Ist das so üblich bei Psychiatern?
«Wenn es denn sein muss.»
«Gut. Dann lassen Sie sich von Fr. Haggebutten einen Termin geben draussen und dann sehen wir uns wieder.»