Simultan
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− | Wann hatte Irina das letzte Mal ein Gespräch mit einer ganz normalen Frau geführt? Über alltägliche Probleme gesprochen. Frisuren. Wehwehchen. Krankheiten. Kinderkrankheiten. Die halbe Stunde im Café mit Marianne hatte in Irina die Erinnerung an eine Welt wachgerufen, die sie schon fast vergessen hatte. Sie beschloss, heute zu Fuß nach Hause zu gehen. Eilig hatte sie es ja nicht, niemand wartete dort mehr auf sie. Und so hatte sie auch Gelegenheit, ihren Gedanken noch ein wenig länger nachzuhängen. Sie ging geradeaus, doch ihr Blick war zur Seite gerichtet. Sie hatte keine Lust, irgend jemandem in die Augen zu sehen. Da waren Häuser. Häuser so häßlich, dass Irina ihren Anblick kaum ertragen konnte. Eine Baustelle. Vielmehr eine Baulandschaft, die sich über mahr als 10 Häuserlängen erstreckte. Eine Holzwand. Eine Holzwand? Irina wusste nicht, wie man so eine Anschlagtafel aus Holz sonst nennen sollte, an der man Plakate aufhängen konnte. Jetzt kam ihre Lieblingsstelle. Ein kleiner Bach, der in dieser sonst so kargen Gegend ganz zart wirkte. Er hatte überleben können, inmitten von all der grauen, kalten Realität, so wie auch Irina überlebt hatte. Doch als sie nun an dieser Stelle angelangt war, stellte sie fest, dass etwas anders war als sonst. Irgendwie sah dieser Bach heute noch friedvoller aus. Sie blieb stehen, und wartete eine zeitlang ab, denn manchmal kam eine kleine Entenfamilie angeschwommen, der man ein paar Brotkrumen zuwerfen konnte. Sie hatte bereits einige Minuten auf das Wasser gestarrt, als sie bemerkte, was heute anders war. Unter dem sanften, fast schüchtern wirkenden Wellenstrom des Wassers lag ganz ruhig ein schwarzes Fahrrad auf der Seite, fast so, als ob es schlafen würde. Das Bild, das sich vor Irina ausbreitete, bot ein Gefühl völliger innerer Ruhe und Ausgeglichenheit dar. Doch plötzlich öffnete das Fahrrad die Augen. War es erwacht? Warum sah es plötzlich gar nicht mehr so friedlich aus? Irina bekam Kopfschmerzen, ihr wurde schlecht. Sie musste sich an der kleinen Brüstung abstützen. In ihrem Kopf war alles schwarz. Plötzlich mischten sich Grau und Weiss in das Schwarz. Und Rot. Rot. Ein roter Stern. Krankheiten. Kinderkrankheiten. Isabelle. Alliance Abstrakt. Lange, braune Haare, übermütig nach hinten geworfen. Rot. Ein Stern. Irina sinkt auf die Knie, mit den Händen über ihren Kopf gestreckt klammert sie sich immer noch an der Brüstung fest. Sie übergibt sich, und verfehlt nur knapp das Fahhrad, welches von dieser Respektlosigkeit völlig unbeeindruckt zu sein scheint. "Bist du Isabelles Fahrrad? Hör auf, mich so anzustarren, hör auf, mich zu verfolgen!" bricht es aus Irina hervor. Das Fahrrad reagiert nicht. Der Unfall. Irina erinnerte sich an alles. "Das du ihn auch von mir grüßt!" hatte sie Isabelle nachgerufen. Sie hatte sich umgedreht, dabei ihre Haare zurückgeworfen. Danach hatte Irina nur noch das Fahrrad gesehen. Schwarz, mit einem roten Stern als Aufkleber an der Stange hinten. "Es sah mich mit Augen an, die zu sagen schien: [[ | + | Wann hatte Irina das letzte Mal ein Gespräch mit einer ganz normalen Frau geführt? Über alltägliche Probleme gesprochen. Frisuren. Wehwehchen. Krankheiten. Kinderkrankheiten. Die halbe Stunde im Café mit Marianne hatte in Irina die Erinnerung an eine Welt wachgerufen, die sie schon fast vergessen hatte. Sie beschloss, heute zu Fuß nach Hause zu gehen. Eilig hatte sie es ja nicht, niemand wartete dort mehr auf sie. Und so hatte sie auch Gelegenheit, ihren Gedanken noch ein wenig länger nachzuhängen. Sie ging geradeaus, doch ihr Blick war zur Seite gerichtet. Sie hatte keine Lust, irgend jemandem in die Augen zu sehen. Da waren Häuser. Häuser so häßlich, dass Irina ihren Anblick kaum ertragen konnte. Eine Baustelle. Vielmehr eine Baulandschaft, die sich über mahr als 10 Häuserlängen erstreckte. Eine Holzwand. Eine Holzwand? Irina wusste nicht, wie man so eine Anschlagtafel aus Holz sonst nennen sollte, an der man Plakate aufhängen konnte. Jetzt kam ihre Lieblingsstelle. Ein kleiner Bach, der in dieser sonst so kargen Gegend ganz zart wirkte. Er hatte überleben können, inmitten von all der grauen, kalten Realität, so wie auch Irina überlebt hatte. Doch als sie nun an dieser Stelle angelangt war, stellte sie fest, dass etwas anders war als sonst. Irgendwie sah dieser Bach heute noch friedvoller aus. Sie blieb stehen, und wartete eine zeitlang ab, denn manchmal kam eine kleine Entenfamilie angeschwommen, der man ein paar Brotkrumen zuwerfen konnte. Sie hatte bereits einige Minuten auf das Wasser gestarrt, als sie bemerkte, was heute anders war. Unter dem sanften, fast schüchtern wirkenden Wellenstrom des Wassers lag ganz ruhig ein schwarzes Fahrrad auf der Seite, fast so, als ob es schlafen würde. Das Bild, das sich vor Irina ausbreitete, bot ein Gefühl völliger innerer Ruhe und Ausgeglichenheit dar. Doch plötzlich öffnete das Fahrrad die Augen. War es erwacht? Warum sah es plötzlich gar nicht mehr so friedlich aus? Irina bekam Kopfschmerzen, ihr wurde schlecht. Sie musste sich an der kleinen Brüstung abstützen. In ihrem Kopf war alles schwarz. Plötzlich mischten sich Grau und Weiss in das Schwarz. Und Rot. Rot. Ein roter Stern. Krankheiten. Kinderkrankheiten. Isabelle. Alliance Abstrakt. Lange, braune Haare, übermütig nach hinten geworfen. Rot. Ein Stern. Irina sinkt auf die Knie, mit den Händen über ihren Kopf gestreckt klammert sie sich immer noch an der Brüstung fest. Sie übergibt sich, und verfehlt nur knapp das Fahhrad, welches von dieser Respektlosigkeit völlig unbeeindruckt zu sein scheint. "Bist du Isabelles Fahrrad? Hör auf, mich so anzustarren, hör auf, mich zu verfolgen!" bricht es aus Irina hervor. Das Fahrrad reagiert nicht. Der Unfall. Irina erinnerte sich an alles. "Das du ihn auch von mir grüßt!" hatte sie Isabelle nachgerufen. Sie hatte sich umgedreht, dabei ihre Haare zurückgeworfen. Danach hatte Irina nur noch das Fahrrad gesehen. Schwarz, mit einem roten Stern als Aufkleber an der Stange hinten. "Es sah mich mit Augen an, die zu sagen schien: [[Leid und Schmerz und 40 Hoffnungsjahre|Ich weiss, was du getan hast]]." dachte Irina. |
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− | [[Image:Blutrotes Fahrrad.jpg|right | + | [[Image:Blutrotes Fahrrad.jpg|right]] |
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Aktuelle Version vom 28. November 2008, 11:58 Uhr
Wann hatte Irina das letzte Mal ein Gespräch mit einer ganz normalen Frau geführt? Über alltägliche Probleme gesprochen. Frisuren. Wehwehchen. Krankheiten. Kinderkrankheiten. Die halbe Stunde im Café mit Marianne hatte in Irina die Erinnerung an eine Welt wachgerufen, die sie schon fast vergessen hatte. Sie beschloss, heute zu Fuß nach Hause zu gehen. Eilig hatte sie es ja nicht, niemand wartete dort mehr auf sie. Und so hatte sie auch Gelegenheit, ihren Gedanken noch ein wenig länger nachzuhängen. Sie ging geradeaus, doch ihr Blick war zur Seite gerichtet. Sie hatte keine Lust, irgend jemandem in die Augen zu sehen. Da waren Häuser. Häuser so häßlich, dass Irina ihren Anblick kaum ertragen konnte. Eine Baustelle. Vielmehr eine Baulandschaft, die sich über mahr als 10 Häuserlängen erstreckte. Eine Holzwand. Eine Holzwand? Irina wusste nicht, wie man so eine Anschlagtafel aus Holz sonst nennen sollte, an der man Plakate aufhängen konnte. Jetzt kam ihre Lieblingsstelle. Ein kleiner Bach, der in dieser sonst so kargen Gegend ganz zart wirkte. Er hatte überleben können, inmitten von all der grauen, kalten Realität, so wie auch Irina überlebt hatte. Doch als sie nun an dieser Stelle angelangt war, stellte sie fest, dass etwas anders war als sonst. Irgendwie sah dieser Bach heute noch friedvoller aus. Sie blieb stehen, und wartete eine zeitlang ab, denn manchmal kam eine kleine Entenfamilie angeschwommen, der man ein paar Brotkrumen zuwerfen konnte. Sie hatte bereits einige Minuten auf das Wasser gestarrt, als sie bemerkte, was heute anders war. Unter dem sanften, fast schüchtern wirkenden Wellenstrom des Wassers lag ganz ruhig ein schwarzes Fahrrad auf der Seite, fast so, als ob es schlafen würde. Das Bild, das sich vor Irina ausbreitete, bot ein Gefühl völliger innerer Ruhe und Ausgeglichenheit dar. Doch plötzlich öffnete das Fahrrad die Augen. War es erwacht? Warum sah es plötzlich gar nicht mehr so friedlich aus? Irina bekam Kopfschmerzen, ihr wurde schlecht. Sie musste sich an der kleinen Brüstung abstützen. In ihrem Kopf war alles schwarz. Plötzlich mischten sich Grau und Weiss in das Schwarz. Und Rot. Rot. Ein roter Stern. Krankheiten. Kinderkrankheiten. Isabelle. Alliance Abstrakt. Lange, braune Haare, übermütig nach hinten geworfen. Rot. Ein Stern. Irina sinkt auf die Knie, mit den Händen über ihren Kopf gestreckt klammert sie sich immer noch an der Brüstung fest. Sie übergibt sich, und verfehlt nur knapp das Fahhrad, welches von dieser Respektlosigkeit völlig unbeeindruckt zu sein scheint. "Bist du Isabelles Fahrrad? Hör auf, mich so anzustarren, hör auf, mich zu verfolgen!" bricht es aus Irina hervor. Das Fahrrad reagiert nicht. Der Unfall. Irina erinnerte sich an alles. "Das du ihn auch von mir grüßt!" hatte sie Isabelle nachgerufen. Sie hatte sich umgedreht, dabei ihre Haare zurückgeworfen. Danach hatte Irina nur noch das Fahrrad gesehen. Schwarz, mit einem roten Stern als Aufkleber an der Stange hinten. "Es sah mich mit Augen an, die zu sagen schien: Ich weiss, was du getan hast." dachte Irina.