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Gaeste in Zhytomyr / Fête à Zhytomyr: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 16. Dezember 2011, 11:44 Uhr
Ich hasse Nescafé, aber ich liebe Mats Essen. Sie hat Freunde eingeladen, ihr Sohn ist da, ein Fest. Der Tisch ist reich gedeckt, ich habe Schweizer Schokolade mitgebracht (die billigste, das merken die eh nicht!), Souvenirkitsch, irgendetwas. Es kommt nur drauf an, zu schenken, egal was. Also sitzen wir zusammen, die ganzen Ivas, Vladimirs, Dimitis, Borjas mit dem Vodka in der Hand, ihre Frauen, alle sind sie laut, alle wollen sie mir irgendetwas erzählen – und all ihre Geschichten klopfe ich aufs Erzählbare ab. Vielleicht erzähle ich ja Borjas Geschichte, die eines jungen Arbeitslosen, dessen Eltern ihn aushalten (wovon eigentlich?), und der manchmal an die Züge schaffen geht. Als ich frage, was das bedeutet: An die Zügen schaffen gehen, antwortet er: Du weißt schon, dann schweigt er. Jemand hebt das Glas: Trinken wir auf die Ukraine, ihre goldenen Felder, die Kornkammer unser. Trinken wir auf unsere Jugend, die unser Land in eine glückliche Zukunft führen wird. Möge dieses Land, möge unser Volk erstrahlen! Ich kippe den Vodka. Meine Hand unter dem Tisch schreibt hässliche Buchstaben, die Fehler häufen sich mit jedem Glas.
Am nächsten Morgen brät Mat Eier, ich sehe das Kaffeepulver auf dem Tisch, im Kühlschrank stehen die Reste von gestern. Mein Kopf schmerzt, ich lasse das Tageslicht durch einen schmalen Spalt an meine Augen. Immernoch zu viel.
– Sag mal, Mat, was meinte der Borja, mit »an den Zügen schaffen«?
– Yegor, was meinst du, wovon die Leute hier leben? Von Landwirtschaft – hast du die Preise auf dem Markt gesehen? Ich meine wirklich: Hast du sie begriffen? Von Maschinenbau oder vom Kleiderzusammennähen? Von 800 Hrywnja?
– Borja macht, was alle jungen Menschen in Zhytomyr machen, die es nicht geschafft haben, das Land zu verlassen. Er bringt Sigareta nach Polen. Malboro bei uns: 66 Cent, in Polen: 1,71 Euro. Wenn du gut bist, kommst du auf 4'000 / 5'000 Hrywnja im Monat.
Yevor reibt sich mit dem Zeigefinger den Schlaf aus den Augen.
– Mat, woher weißt du das?
– Hat mir einer erzählt.
– Wer?
Mat beginnt zu pfeifen. Eine schweizerische Unart, in der Ukriane verpönt. Sie tut es für mich – als Gebot zu schweigen. Ich habe schon früh angefangen, Mat in Schwierigkeiten zu bringen, weil ich Dinge weitererzählte, die ich nicht hätte sagen sollen. Später habe ich das zum Beruf gemacht. Und jetzt, jetzt drohte das weiterzugehen. Mat würde nichts mehr sagen. Borja ebenso. Ich muss in diesen Zug. Fakten recherchieren kann ich später, in der Schweiz. Der KGB versaut mir sonst die Story, wenn die mitbekommen, worüber ich schreibe.
– Mat, wann fahren eigentlich die Züge nach Polen?
– Keine Ahnung. Was willst du da?
– Ach, ich bin in der Ukraine einfach noch nie Zug gefahren, ist bestimmt ein Erlebnis …
Mat weiß, dass es zu spät ist. Ich würde meine Story finden. Irgendeiner ihrer Bekannten würde meinen Artikel lesen. Ihr schicken. Die ganze Familie, die ganze Stadt wird darüber reden. Warum macht er das? Er, aus seinem scheißreichen Westen, kommt hierher und macht uns das bisschen kaputt, wovon wir noch leben. Was hast du nur mit deinem Jungen gemacht, werden sie Mat fragen.
Das tut mir Leid. Aber ich bin Journalist.