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Abgewrackte Heimat / Mon origine pourrie: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 11. November 2011, 11:21 Uhr

277'000 Einwohner. Verkehrsknotenpunkt des internationalen Fernverkehrs: Warschau-Kiew, Minsk-Ismail.
Sonst nichts.

Ich verstehe nicht, warum Mutter damals in diesen abgewrackten Ort zurückgekehrt ist. Natürlich, das Leben ist billiger als in der Schweiz, ihre Witwenrente würde für ein würdevolles Leben, wie sie das nennt, nicht reichen.

Krankenkassenbeiträge, hier Steuern, da Steuern. Pah, hat Mutter gesagt und bezieht jetzt ihr Geld aus der Schweiz und vertrödelt es in der Ukraine. Da lebt sie mit ihrer Schwester in einem alten kleinen Haus am Stadtrand (so schlecht ausgestattet war nicht einmal unsere alte Gartenlaube am Bieler See, Mutter wollte damals ja unbedingt eine Datscha, Vater hat sie geliebt und ich musste meine Sommerferien im Strebergarten verbringen).

Sie hat all den alten Kitsch da, den Vater mit den Jahren aussortiert hat. All die gestickten Kissenbezüge, die Teppiche, den Glasschmuck, den Sowjetbilligprunk. Sie trinkt Nescafé, isst irgendwelche Süßigkeiten aus dem Kiosk ums Eck und nennt das ihr würdevolles Leben. Von ihrer Zeit in der Schweiz will sie nichts mehr wissen. Nur dass ich jetzt da bin, ihr Yegorchen. Öffentliches Bekenntnis zur Familie, solange wir Gäste haben.

Heute hat Mat, Mutter auf Russisch, und so nenne ich sie, seit ich mich erinnere, mich durch die Stadt geführt, hat alte Karten gezeigt. Von ihrer Kindheit und der Kindheit ihrer Eltern, Großeltern, Schwarzweißfotografien. Die Stadt war Idylle bevor die Autos und Lastwagen die Welt eroberten. Dazu die Züge, sie rollen im Stundentakt. Man ist schnell hier, schnell da, sagt Mat. Schnell in Kiew oder in Warschau. Ihre Zeit ist relativ, Mat ist ukrainisiert, nach den letzten acht Jahren vorort resozialisiert.

Am Abend kommen Gäste.