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+ | Ein heftiges Gewitter zieht über den Ort. Marianne hat sich eben die Haare gewaschen. Es ist ruhig im Haus. Die Blätter im Garten fallen schnell, sie werden vom Wind an die Hauswand geklatscht. Marianne überlegt sich, was sie mit dem angebrochenen Tag anfangen soll. Sie geht im Haus umher. Plötzlich hat sie eine Idee: Sie könnte im Estrich in alten Sachen herumstöbern. Eigentlich wollte sie das Chaos dort oben ja schon lange aufräumen, doch nie hatte sie die Zeit oder Lust dazu. Sie geht in den ersten Stock des Hauses und lässt die ausziehbare Leiter hinunter, die durch eine Luke in den Estrich führt. Es ist schummrig dort oben, eine einzige Glühbirne gibt Licht. Sie kämpft sich zwischen Kartonschachteln und allerlei herum liegenden Gegenständen hindurch, bis sie zu einem Kleiderständer kommt. Er ist aus Metall und deutet den Körper einer Frau an. Marianne kaufte ihn einmal mit Roger in Südfrankreich, als sie dort im Urlaub waren.<br>Marianne geht weiter und kommt an den Kartons mit Franks Modelleisenbahn vorbei. Auf einem Regal dahinter stehen alte Bücher, die niemand mehr lesen will. Dann öffnet Marianne eine Schachtel mit alten Kleidern. Eine Motte fliegt ihr entgegen. Da sind Pullover und Jeans der Kinder, mit denen sie einmal Tag für Tag in den Kindergarten und in die Schule gingen. Roger hatte zu Marianne gesagt, sie solle die alten Klamotten doch wegschmeissen. Doch Marianne hatte es nicht übers Herz gebracht. Sie dachte, vielleicht würden sich die Kinder eines Tages freuen, wenn sie ihre Babyklamotten zu sehen bekämen. In der rechten hinteren Ecke des Estrichs befinden sich die alten Schulsachen von Marianne und Roger. Marianne kniet auf den Boden und öffnet einen der Schuhkartons. Alte Hefte, in Schnürchenschrift angeschrieben, liegen darin. Sie nimmt einige der Sachen aus dem Karton und staunt, als sie die Hefte durchblättert, wie gut sie sich noch an einzelne Aufgaben und Übungen erinnern kann.<br>Zwischen den Schulheften taucht ein Buch auf. Darauf steht: “Meine Freunde“. Es ist ein Comic mit drei Mädchen darauf abgebildet. Marianne öffnet das Buch und blättert von vorne durch: Da ist Martina, die ihr ein Sprüchlein reingeschrieben hat. Oder Franziska, mit der sie immer ABBA-Platten hörte und die sie deshalb eine “Dancing Queen“ nannte. Und dann ist da noch Petra, die ihr ein kleines Fahrrad auf die Seite gezeichnet hat. Es sieht sie mit Augen an, die zu sagen scheinen: Ich weiß, was du getan hast. Die Erinnerung lässt sie nicht mehr los.<br>Es war an einem Mittwochnachmittag. Marianne und Petra gingen in die Badeanstalt. Marc war ein Junge aus der sechsten Klasse. Auch er war dort und machte mutige Sprünge vom Dreimeterbrett. Die beiden Mädchen standen daneben und bewunderten ihn. Sie tuschelten etwas und beschlossen dann, dass sie irgendwie auf sich aufmerksam machen mussten. Sie legten sich wieder auf ihre Handtücher und heckten einen Plan aus. Sie wollten das Fahrrad von Marc klauen, es an einen geheimen Ort bringen und dafür Lösegeld fordern. Sie zogen sich also an und gingen zu den Fahrrädern vor der Badeanstalt. Sie wussten genau, welches Marcs war. Er hatte es nicht abgeschlossen, denn niemand schloss damals sein Fahrrad ab. In einer schnellen Bewegung nahmen sie es und spazierten damit von der Badeanstalt weg. Sie hinterliessen einen Zettel, auf dem stand: “Um 19 Uhr beim alten Bahnhof. Lösegeld 50 Franken.“<br>Marianne und Petra gingen zum alten Bahnhof und warteten. Sie wussten, dass Marc sich jetzt langsam auf den Weg machen würde. Plötzlich tauchte er auf der Strasse auf, aber er war nicht alleine. Neben ihm ging ein Polizist. „Halt!“, rief dieser, als sich Marianne und Petra schon davon machen wollten. „Was habt ihr euch eigentlich dabei gedacht?“, sagte der Polizist, als er bei ihnen ankam. Marc stand neben ihm und schwieg.<br>„Es sollte nur ein Spass sein“, sagte Martina mit schüchterner Stimme.<br>„Das ist Diebstahl“, sagte der Polizist.<br>„Sagen Sie es jetzt unseren Eltern?“, fragte Petra.<br>„Nicht wenn ihr euch bei mir entschuldigt“, sagte Marc.<br>„Es tut uns Leid." | ||
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+ | Marianne blättert weiter. Da ist Rebekka, mit der sie Tennis spielte. Marianne blättert immer schneller und liest die Sprüche und Wünsche ihrer Freundinnen nur noch quer. Dann legt sie das Buch zurück, verschliesst die Kiste und geht zur Luke.<br> | ||
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Aktuelle Version vom 13. Januar 2009, 10:04 Uhr
Ein heftiges Gewitter zieht über den Ort. Marianne hat sich eben die Haare gewaschen. Es ist ruhig im Haus. Die Blätter im Garten fallen schnell, sie werden vom Wind an die Hauswand geklatscht. Marianne überlegt sich, was sie mit dem angebrochenen Tag anfangen soll. Sie geht im Haus umher. Plötzlich hat sie eine Idee: Sie könnte im Estrich in alten Sachen herumstöbern. Eigentlich wollte sie das Chaos dort oben ja schon lange aufräumen, doch nie hatte sie die Zeit oder Lust dazu. Sie geht in den ersten Stock des Hauses und lässt die ausziehbare Leiter hinunter, die durch eine Luke in den Estrich führt. Es ist schummrig dort oben, eine einzige Glühbirne gibt Licht. Sie kämpft sich zwischen Kartonschachteln und allerlei herum liegenden Gegenständen hindurch, bis sie zu einem Kleiderständer kommt. Er ist aus Metall und deutet den Körper einer Frau an. Marianne kaufte ihn einmal mit Roger in Südfrankreich, als sie dort im Urlaub waren.
Marianne geht weiter und kommt an den Kartons mit Franks Modelleisenbahn vorbei. Auf einem Regal dahinter stehen alte Bücher, die niemand mehr lesen will. Dann öffnet Marianne eine Schachtel mit alten Kleidern. Eine Motte fliegt ihr entgegen. Da sind Pullover und Jeans der Kinder, mit denen sie einmal Tag für Tag in den Kindergarten und in die Schule gingen. Roger hatte zu Marianne gesagt, sie solle die alten Klamotten doch wegschmeissen. Doch Marianne hatte es nicht übers Herz gebracht. Sie dachte, vielleicht würden sich die Kinder eines Tages freuen, wenn sie ihre Babyklamotten zu sehen bekämen. In der rechten hinteren Ecke des Estrichs befinden sich die alten Schulsachen von Marianne und Roger. Marianne kniet auf den Boden und öffnet einen der Schuhkartons. Alte Hefte, in Schnürchenschrift angeschrieben, liegen darin. Sie nimmt einige der Sachen aus dem Karton und staunt, als sie die Hefte durchblättert, wie gut sie sich noch an einzelne Aufgaben und Übungen erinnern kann.
Zwischen den Schulheften taucht ein Buch auf. Darauf steht: “Meine Freunde“. Es ist ein Comic mit drei Mädchen darauf abgebildet. Marianne öffnet das Buch und blättert von vorne durch: Da ist Martina, die ihr ein Sprüchlein reingeschrieben hat. Oder Franziska, mit der sie immer ABBA-Platten hörte und die sie deshalb eine “Dancing Queen“ nannte. Und dann ist da noch Petra, die ihr ein kleines Fahrrad auf die Seite gezeichnet hat. Es sieht sie mit Augen an, die zu sagen scheinen: Ich weiß, was du getan hast. Die Erinnerung lässt sie nicht mehr los.
Es war an einem Mittwochnachmittag. Marianne und Petra gingen in die Badeanstalt. Marc war ein Junge aus der sechsten Klasse. Auch er war dort und machte mutige Sprünge vom Dreimeterbrett. Die beiden Mädchen standen daneben und bewunderten ihn. Sie tuschelten etwas und beschlossen dann, dass sie irgendwie auf sich aufmerksam machen mussten. Sie legten sich wieder auf ihre Handtücher und heckten einen Plan aus. Sie wollten das Fahrrad von Marc klauen, es an einen geheimen Ort bringen und dafür Lösegeld fordern. Sie zogen sich also an und gingen zu den Fahrrädern vor der Badeanstalt. Sie wussten genau, welches Marcs war. Er hatte es nicht abgeschlossen, denn niemand schloss damals sein Fahrrad ab. In einer schnellen Bewegung nahmen sie es und spazierten damit von der Badeanstalt weg. Sie hinterliessen einen Zettel, auf dem stand: “Um 19 Uhr beim alten Bahnhof. Lösegeld 50 Franken.“
Marianne und Petra gingen zum alten Bahnhof und warteten. Sie wussten, dass Marc sich jetzt langsam auf den Weg machen würde. Plötzlich tauchte er auf der Strasse auf, aber er war nicht alleine. Neben ihm ging ein Polizist. „Halt!“, rief dieser, als sich Marianne und Petra schon davon machen wollten. „Was habt ihr euch eigentlich dabei gedacht?“, sagte der Polizist, als er bei ihnen ankam. Marc stand neben ihm und schwieg.
„Es sollte nur ein Spass sein“, sagte Martina mit schüchterner Stimme.
„Das ist Diebstahl“, sagte der Polizist.
„Sagen Sie es jetzt unseren Eltern?“, fragte Petra.
„Nicht wenn ihr euch bei mir entschuldigt“, sagte Marc.
„Es tut uns Leid."
Marianne blättert weiter. Da ist Rebekka, mit der sie Tennis spielte. Marianne blättert immer schneller und liest die Sprüche und Wünsche ihrer Freundinnen nur noch quer. Dann legt sie das Buch zurück, verschliesst die Kiste und geht zur Luke.