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Das umgestülpte Haus: Unterschied zwischen den Versionen
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Aktuelle Version vom 13. Januar 2009, 21:49 Uhr
Wird Ihr Haus abgerissen?
Nein, Ihres...
Die Gaffer fragen nicht weiter, sondern gaffen stumm.
Der Kran, der Schlepper, der Bagger. Ein Kran, in seine Einzelteile zerlegt auf Lastwagen die Haarnadelkurven herum hochgezirkelt und wie ein Mecano-Set zusammengesetzt worden ist und jetzt den Kirchturm überragt. Ein Schlepper, für den die abgebrochenen Kiesränder der Verbindungsstrasse neu betoniert wurden und der trotzdem stecken blieb, zuerst in den Kurven, dann auch im Dorf, wo er das Gemeindehaus touchiert hat und dessen Dachgiebel aufgeschlitzt. Ein Bagger, der querfeldein angefahren kam, das schlammige Feld hoch, und wenn seine mannshohen Räder durchdrehten, griff er mit der Schaufel in die Erde und hangelte sich mit dem Baggerarm wie mit Klimmzügen die Böschung hoch. Jetzt sind sie alle versammelt, der Kran, der Schlepper und der Bagger, und die Gaffer glotzen sie sprachlos an und wenn einer etwas zu sagen versucht wie Boah, Wow oder Ou, dann wird es von dem Motorenlärm der Maschinen überdröhnt.
Die Gaffer fragen nicht weiter, ob das Haus der Frau Kommissärin abgerissen wird. Sie wissen, das es abgerissen wird, und täuschen Unwissenheit vor, um vor der Villa stehen zu bleiben und zu gaffen, einen guten Grund zu haben, dem Abbruch zuzusehen.
So sind die Leute hier, Mutter. Lass sie. Sie wissen nichts.
Wenn sie es wüssten, wären sie traurig.
Dann lass sie wütend sein.
Sie werden es früh genug merken...
Und noch wütender werden, ja. Aber das macht nichts, Mutter. Es macht nichts.
Du verstehst das nicht! Du nimmst das Haus mit dir, als würdest du einen Verbrecher abführen, genau so, ohne Rücksicht auf die Familie, die vor der Zelle zurück bleibt, ohne Mann, ohne Vater, hast du dir das schon mal überlegt, da bleibt ein Vakuum da draussen – hier, wenn das Haus weg ist. Du verlierst nichts dabei...
Mutter! Es bleibt doch unser Haus. Dein Haus.
Unser Haus. Ach, wenn nur Vater noch da wäre...
Der Kommissär nimmt seine Mutter in den Arm. Das heisst, er zieht sie zu sich, aber nicht zu nahe, und presst die Schulter gegen ihren Mund, damit er ihre Schreie nicht hören muss. Auf gleiche Weise erstickt er das Gejammer der Frauen der Häftlinge, saugt ihre Tränen auf. Er macht das sehr gut, findet er, und seine Mutter klammert sich noch stärker an ihn, als hinter ihrem Rücken die Fräse an der Baggerspitze zu kreischen beginnt. Wie durch Butter fährt sie durch das Fundament, knapp über dem Boden, wie der Bauer mit der Sense wiegt sie hin und her, frisst sich immer tiefer in das Gebäude rein, ab und zu knallt es, knackt es, knirscht es, wohltuende Geräusche, die den Lärm der Fräse unterbrechen. Es ist die Stimme des Hauses, das Haus schreit, es schreit mit dem Bagger um die Wette, das Haus aus Schmerz, aus Wut, der Bagger aus Anstrengung.
Leere. Die Ohren sind leer wie das Haus, ausgehöhlt, als die Fräse absetzt, der Ton wird tiefer, voller, das Klacken rhythmischer, ein Hauchen ist noch da, ein letztes Stöhnen, dann ist es vorbei. Leere. Der Bagger rollt weg, gräbt sich mit der Schaufel im Boden fest, damit er nicht wegrollt, der Baggerführer nimmt seine orangen Ohrschützer ab und legt sie neben sich auf den Sitz, der von seinem Gewicht entlastet hochschnellt, während er sich aus der Kabine schwingt und auf dem rutschigen Untergrund ausgleitet. Das Haus sackt mit einem gedämpften Niesen einen halben Meter ab, Staub steigt auf, formt einen Ring um die Mauern, überzieht den von den Baggerrädern vernarbte Rasen mit einer grauen Puderschicht. Auch der Baggerfahrer wird maskiert, hustend steht er auf, weint sich den Staub aus den Augen und blinzelt verwirrt das Haus an, seinen Bagger, den Kran. Dann hebt er seinen Daumen.
Kannst beginnen.
Die Seile des Krans schludern wie die Tentakeln eines Tintenfisches herab, verdrehen sich, verknüppeln sich, und schlingen sich trotz dieser Unkoordiniertheit mit einer fliessenden Bewegung um die Türme und Erker der Villa und saugen sich daran fest wie mit Saugnäpfen. Die Seile spannen sich ruckartig an, straff laufen sie in der Hand des Krans zusammen, wie die Fäden von Marionettenfiguren, doch die Figuren stehen still. Dann ruckelt eine, eine zweite, sie schweben empor.
Langsam, langsam. Laaaangsam.
Das Haus wird in die Lüfte gehoben, wobei der Kontakt zum Boden scheinbar nie aufgegeben wird durch die herunterbröckelnden Steinen und den Staub, der wie ein Tuch den Boden streift und dem Gemäuer als Schleier nachgezogen wird. Bis zum Lastwagen. Der Arm des Krans schwenkt dahin, das Haus schwebt über der Ladefläche des Transporters, einen halben Meter, die Hälfte, eine Handbreite, einen Spalt, der sich schliesst, wie eine schwere Tür, die durch einen Luftzug ins Schloss fällt. Der Staub setzt sich. Das Haus auf der Ladefläche des Lasters.
Ich muss jetzt gehen, Mutter.
Der Kommissär befreit sich aus dem Klammergriff seiner Mutter, die während der Umstülpung mit dem Rücken zur Villa stand, sich mit dem Kranarm drehte und eine Pirouette vollzog, um die Entwurzelung ihres Hauses nicht zu sehen. Zur Sicherheit hat sie die Augen geschlossen und der Kommissär muss sie aufklappen, eine Bewegung, die ihm gegen den Strich geht.
Ich muss gehen. Bleib du hier, geh nach Hause und beruhige dich.
Lachen.
Ich komme später wieder, ja?