Simultan

Vor einem Jahr

Aus Simultan

Uneannee.JPG
(Rohtext, nicht korrigiert!) 

Übersetzung: Version française (original)


Vor einem Jahre wurde ein Wesen geboren. Mein Frau, meine Samia hat ein Mädchen zur Welt gebracht, ein kleines Bündel voller Glück und Wärme, Herz zerbrechender Tränen und Lacher.

Ich erinnere mich an diesen Tag, an diese Nacht, als wäre es gestern gewesen. Es regnete, alles war grau und kalt, die Kinder (die anderen beiden, die nun auf einen Schlag sehr gross geworden waren) bei der Grossmutter, Arbeit aufgehoben, ein kleiner Spaziergang draussen am Fluss entlang, das wiederholte Anhalten während der noch sehr unregelmässigen Wehen, die bereits am Abend zuvor eingesetzt hatten. Die paar Schritte unter dem Regenschirm, die Baumskelette, die den düsteren Himmel in Scherenschnitte zerteilten. Samia, die den folgenden Abend mit jedem Anschwellen der Wehen durch die Wohnung marschierte, sich auf Stuhllehnen, auf das Sofa, den Küchentisch stützte, die Beine leicht gespreizt, tief und kontrolliert atmete, bis die Spannung wieder nachliess, und dies wiederholte sich über Stunden hinweg, aber die Wehen blieben unregelmässig, ein unmissverständliches Zeichen dafür, dass die Vorarbeit noch nicht zu Ende war und die Geburt noch weit vor uns lag, so weit, dass wir genügend Zeit hatten, eine Suppe zu kochen, Tee zu trinken, unterbrochen durch einige Muskelkrämpfe, Massagen, Atemübungen.

Ich stelle mich hinter sie, die Arme um ihren enormen Bauch geschlungen, den ich mit den Händen stütze. Ich spüre, wie schwer, wie angespannt und hart die Bauchmuskeln bis zum Becken hinunter sind, als hätte sich diese grosse Kugel in ein solid gebautes Haus verwandelt, in ein Raumschiff eines Wesens auf dem Weg zum Planeten Erde. Mein Hände, meine Arme, mein ganzer Körper folgt den Atembewegungen, ihrem Atem, dieser wiederum folgt den Bewegungen der Wehe, ein Ereignis, das weder in ihrer Macht, noch unter ihrer Kontrolle steht, die Wehe kontrolliert sie, und Samia hat keine andere Wahl, als sich gehen zu lassen, sich nicht dagegen zu stellen, sich nicht gegen diese Kraft aufzulehnen, die auf alle Fälle stärker ist als sie, stärker als ihr stärkster Wille.

Dann gehen wir hinauf ins Bad. Ich lasse ihr ein warmes Bad einlaufen ohne Seife, nur diese Wärme, sanftes Licht, leise Musik im Hintergrund, aber schliesslich ist sogar das zuviel. Ich nehme einen Stuhl und setze mich neben sie, neben meine Frau, diesen riesigen Körper im warmen Wasser, dieser Körper, der sich von Zeit zu Zeit windet und streckt, und ich kann nichts anderes tun als sie ansehen, den Schmerz anschwellen sehen, ihr verstelltes, unter dem Schmerz nicht wieder zu erkennendes Gesicht. Mir bleibt dieses Bild meiner Frau, auf der Seite liegend, ganz unter Wasser getaucht, entspannt zwischen zwei Wehen, halb eingeschlafen, dieser Körper, der die ganze Badewanne ausfüllt, Kugeln und Rundungen überall, die Brüste prall seit Monaten, die Arme, die Beine, sogar die Hände und Füsse sind rund und gleichen prallen Kugeln, Satelliten, um den riesigen Bauch kreisend, der im Wasser schwimmt wie ein Frachtschiff. Der gesamt Körper drückt von innen heraus, bereit zu explodieren … dann weckt sie eine neue Wehe auf, die sie überkommt und nimmt wie eine übernatürliche Kraft, wie die Verwünschung eines unsichtbaren Geistes, alles zieht sich zusammen, windet sich um den Bauch, hart wie ein Fels, diese Grotte, die sich vorbereitet, das Wasen, das sie beherbergt, auszuliefern, die kleine Person, die wir bereits auf Ultraschallbildschirmen gesehen haben, ein Wesen, das noch immer abstrakt bleibt, kaum vorstellbar in der Kristallkugel die nach wie vor Samias Bauch, der Kröper meiner Frau bleibt. Die Vorstellung, dass sich darin ein lebendes Wesen befindet, eine Person, ein Kind - die bleibt ein erschreckender (in der Art „Alien“) und gleichzeitig ein faszinierender Gedanke, das Wunder des Lebens: wie ist es möglich, dass, nur weil sich zwei Zellen begegnen, eine neue Zelle entsteht und zu leben beginnt, sich vermehrt und einem gut vordefinierten Programm folgt, das zu einer Person führt, die denkt, fühlt, entscheidet? Wie ist es möglich, dass sich aus zwei winzigen Zellen eine ganze Persönlichkeit entwickeln kann? Wo war diese Persönlichkeit vorher? Wo wird sie nach ihrem Tod sein? Fragen, auf die ich – überzeugter Atheist, der ich bin – keine Antworten habe. Das Mysterium des Lebens, die unglaubliche Vision der Lebenskette, die sich bis zu den Anfängen unserer Erde zurückverfolgen lassen. Wir sind hier, weil diese Kette seit vielen Tausend, Millionen Jahren nie unterbrochen worden ist – wie viele Generationen wird es nach uns noch geben?

Aber da streckt und beugt sich der Körper meiner Frau wieder in der Badewanne.

„Halt mich fest!“ ruft sie mich, um sie aus dem Wasser zu ziehen, damit sie sich auf dem Wannenrand abstützen kann, nach vorn gebeugt verliert sie beinahe das Bewusstsein, so stark sind die Schmerzen. Und kaum wieder zu Atem gekommen dreht sie sich zu mir.

„Ich presse! Ich glaube, die Presswehen haben eingesetzt! Hilf mir da raus!“

Seit Stunden ist alles parat: kleiner Koffer mit Zahnbürste, Zahnpasta, Pyjama, Krimi, Unterhosen und kleine, neue Minikleider für das Baby, das wir seit 9 Monaten ungeduldig erwarten. Ich nehme diesen Koffer, meine Frau unter dem Arm, drücke den Liftknopf, aber kaum in die kleine Metallkabine getreten setzt eine neue Wehe ein und Samia klatscht beide Hände gegen die Wand, spreizt die Beine, atmet kontrolliert, dann tief, so wie die Hebamme es uns beim Vorbereitungskurs erklärt hat. Die Lifttür geht wieder auf, wir sind unten angekommen, aber Samia schafft es nicht, ihre Beine zu bewegen, bleibt wie angewurzelt, die Augen geschlossen. Ich rufe sie, den Koffer in meiner Hand blockiert die Lifttür, die sich immer wieder automatisch schliessen möchte, aber Samia hört mich nicht, sie ist noch ganz vom Schmerz absorbiert, und wir stecken fest im Lift, in dieser Metallkiste, der Koffer in meiner Hand bis die Wehe nach und nach wieder abschwellt.

Das Auto ist 100 Meter vom Haus entfernt. Wir gehen durch den Park, fünf Atmungen alle zwei Schritte.

„Halt mich fest!“ schreit sie plötzlich, lehnt sich nach vorne, krallt sich an meinem Mantel fest, spreizt wieder die Beine und beginnt die gut eingeübten Atmungen. Dann lässt sie mich los.

„Stell dich hinter mich und halt meinen Bauch!“ stöhnt sie, stützt sich auf ihre eigenen Knie. Das Auto ist noch 50 Meter entfernt, und ich lege meinen Arm, den Koffer in der anderen Hand, um ihren Bauch, halte diese harte Kugel in meiner Hand, in meiner kleinen, verschwindend kleinen, nichtigen Hand. Samia atmet seltsam, krümmt sich. Nicht jetzt, bitte nicht jetzt und nicht hier, nicht hier im Park!
„Stell den Koffer ab!“ schreit sie, „stell diesen verdammten Koffer ab! Und halt mich fest!“

Ich klammere mich am Koffer fest, als könnte uns, so lange ich diesen Koffer in meiner Hand halte, nichts passieren, da wir noch immer auf dem Weg sind Richtung Auto, Richtung Krankenhaus.

„Stell ihn ab, verdammt!“

Ich liess los, ich liess den Koffer und damit die Gewissheit los, dass sie nicht hier im Park gebären würde, und ich hielt ihren Bauch mit beiden Händen fest, folgte ihrem Atemrhythmus, hoch, tief, hoch, tief, und dann setzte sie sich auf den Koffer, so als könnten wir uns in diesem von der Nacht verdüsterten Park ausruhen.

„Wir müssen los! Komm!“ Ich riss sie aus dem Schlaf.

„Ich kann nicht, ich schaff das nicht mehr!“ seufzte sie, und dann, endlich beim Auto angekommen stieg eine neue Wehe hoch wie eine Flutwelle, zog ihren Körper zusammen. Ich riss die Tür des Volvo auf und stiess sie auf die Hinterbank. Ich schoss durch die nachtleere Stadt, Rotlichter überfahren, Vorfahrten missachtet, nicht jetzt, nicht hier, nicht in unserem Volvo, bitte!
Da Aufnahmeprozedur im Krankenhaus schien mir endlos. Ich antwortete an Stelle meiner Frau, Name, Vorname, Adresse, Telefonnummer, während sie sich auf dem Tresen abstützte, die Beine nach hinten gestellt, die Atmung und den Schmerz kontrollierend, der unwiderstehliche Drang zu pressen.

Und dann ging alles sehr schnell: einige Schritte, unterbrochen durch neue Pressschübe, bis zum Gebärraum, sauber Tücher, Ultraschall- und andere Apparaturen, zwei freundliche Hebammen, einige zerreissende Presswehen und die sanften Stimmen der Hebammen, die alles, was sich ereignet, kommentieren, um uns zu beruhigen – genauer, um mich zu beruhigen, denn Samia ist wieder vollständig in den Schmerz dieser unumgehbaren Tortur abgetaucht, der ihren Körper bearbeitet und den Weg öffnet für den kleinen Kopf, der nun erscheint.

„Es ist da, es kommt! Wir sehen bereits die Haare!“ sagen die Hebammen mit einem zufriedenen Lächeln, „es ist da, es kommt, da!“
Und da bringen sie uns das kleine, noch ganz graue, vor Anstrengung blaue Kind, damit die Mutter es an ihre Brust legt und mit einem Laken bedeckt.

„Zeig dich doch her, du bist ja ein Mädchen?

„Ja, es ist ein Mädchen!“