Simultan

Tobias

Aus Simultan

Eigentlich muss man Tobias schon allein seiner Haare wegen lieben. Die kringeln sich in alle Richtungen, kümmern sich weder um Mode noch Schwerkraft. Es sind dunkle, starke, schöne Haare, in die man hineingreifen möchte, doch dann hängt man fest. Ich stelle mir vor, wie Tobias und ich durch die Stadt gehen, meine Hand in seinen Haaren gefangen. Ich würde mein Bett in sein Schlafzimmer stellen müssen, und vor dem Einschlafen würden wir uns Geschichten erzählen. Es wäre natürlich die rechte Hand, denn ich mache alles mit meiner rechten Hand, auch in das Haar anderer Leute greife ich mit der rechten Hand. Ich würde lernen müssen, mit Links zu zeichnen, würde wieder ganz vorne beginnen müssen, mit krakeligen Linien und zu großen Köpfen.

Tobias wohnt nebenan. Vor einiger Zeit habe ich mein Schlafzimmer mit meinem Wohnzimmer getauscht, damit ich mein Bett neben seins stellen konnte. Jetzt gibt es nachts nur eine Wand zwischen uns, das ist weniger einsam. Nicht, dass Tobias oft einsam ist. Er hat oft Besuch, auch nachts. Frau Gotzinger, die unter uns wohnt, beschwert sich gerne darüber, aber dann kann sie ihm doch nicht böse sein, wahrscheinlich wegen seiner Haare und weil er ihr immer nett lächelnd die Türe aufhält. Auch mich hat Frau Gotzinger gern, doch wieso, das weiß ich nicht.

Tobias war noch wach, als ich um zwei erschöpft nach Hause kam. Er machte Tee, obwohl ich nach Kaffee bettelte, denn Tobias ist Kaffeekünstler und ich brauche Kunst in meinem Leben. Und Koffein. Nichts da, sonst kannst du nicht schlafen. Yes, Mom.

Das Telefon klingelt, doch Tobias geht nicht ran. Das mag ich an ihm.
Dann steht sein Lover irgendwann vor der Tür, nicht mehr ganz nüchtern, fragt, ob er es denn jetzt auch schon mit Weibern treibe, ob er schon so tief gesunken sei und lacht dann, als sei das alles nur ein Witz gewesen.

Ich mach dir erst mal 'nen Kaffee, sagt Tobias.

Ich will auch einen Kaffee und bestehe auf mein Recht auf Koffein und Gesellschaft, obwohl mich der Lover böse von der Seite betrachtet. Das ist mir egal, ich war zuerst hier und ich brauche ein Ohr, nehme auch vier, wenn's denn sein muss.


Aber vielleicht sollte ich mich nicht immer so krude ausdrücken, das meint zumindest Anne, die viel mit Kindern rumhängt und sich deswegen eine solche vulgäre Sprache einfach nicht leisten kann. Außerdem (sagt Anne): reden nur Leute von Sex, die keinen bekommen. Da hat sie möglicherweise recht. Anne hat Roland. Ich liege nachts nur neben einer Wand.


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