Simultan

Kürbiskopf und Kater

Aus Simultan

Marianne steht mit Frank am Bahnhof. Nieselregen. Kalte Regentropfen gleiten den Griff von Irinas Schirm entlang. Marianne hält Frank an der Hand und schaut zum Himmel. "Entschuldigung! Können Sie mir bitte helfen?" Irina balanciert gleichzeitig ihren Regenschirm, eine Tesarolle und Plakate mit der Aufschrift "Kater vermisst" zwischen ihren Händen. Regentropfen und - so scheint es Marianne - Tränen laufen Irinas Gesicht herunter. "Siehst du, junger Mann, so hätte es uns auch gehen können. Wissen sie, mein Sohn ist vorhin auch entlaufen. In der Manor, dem Kaufhaus, das gestern eröffnet wurde ..." "Ach nein, ist er einfach ausgerissen!", antwortet Irina. Die drei stehen noch immer vor dem Eingang des Bahnhofs, während Irina zu dem trotzig dreinblickenden Jungen hinunter blickt: "Da hast du deiner Mutter aber einen ganz schönen schrecken eingejagt!" Sie geht in die Knie, umfasst die beiden Hände des Knaben, der sich nun auf Augenhöhe mit ihr befindet, und sagt mit gefühlvoller Stimme: "Weisst du, das ist wirklich ein ganz blödes Gefühl, wenn man jemanden verloren hat, den man so lieb hat. "Und Ihr Kater, haben Sie eine Idee, wo er sein könnte?" Marianne hebt Frank vom Boden auf. Eigentlich ist er schon zu gross, findet Marianne, um von ihr aufgehoben zu werden. Aber sie ist einfach so froh, ihn wiederzuhaben.

Irina blickt um sich, auf der Suche nach nach geeigneten Stellen, wo sie ihre Vermisstenanzeige aufhängen könnte. "Nein, aber haben sie vielleicht eine Idee, wo ich diese Plakate noch aufhängen könnte?" "Also, ich gehe recht häufig in den Laden von Frau Stocker", entgegnet Marianne. "Vielleicht könnte ich da mal fragen? Und in die Apotheke muss ich nachher auch noch - da kommt bei diesem Wetter sicher auch die ganze Stadt vorbei." "Da war ich schon." Irina schnieft, in einer Hand die Plakate, in der anderen ein Taschentuch. "Ich habe mir nämlich zu allem Überdruss auch noch eine Grippe eingefangen." "Ach, Sie arme Frau! Wissen Sie was, ich finde, wir haben uns heute wirklich beide einen gemütlichen Kaffee verdient. Und Sie sollten sich auch einen Moment aufwärmen. Sie sehen ganz erfroren aus." Irina fühlte sich tatsächlich schwach und erschöpft. Die Grippe, die sie sich eingefangen hatte, machte ihren Kopf schwer und schwindelig. Irina steckt Marianne ein paar ihrer Plakate in die Einkaufstüte, und die beiden Frauen beschlossen, in Richtung des Cafés "Odéon" zu gehen. Ihr Weg führte durch die Bahnhofsstrasse und über den Guisanplatz. Sie redeten jetzt nicht mehr über Frank - den seine Mutter eben noch Kürbiskopf nannte - und auch nicht über den entlaufenen Kater, sondern über das Wetter und die Grippewelle in der Stadt. Einmal im Café angekommen, setzten sich die drei an einen freien Tisch. Sie konnten einander kaum sehen, so verraucht war das Lokal an diesem Morgen. Sie bestellten.