Simultan

Ein Traum im Dezember

Aus Simultan

Sie ging die Nidaugasse entlang, vorbei an all den hellbeleuchteten Weihnachtsmarktständen, die Verkäufer boten ihre Ware lauthals an, die Stimmen ganz rau vom vielen Schreien. Sie folgte einer Schlangenlinie um festgefrorene Kinder herum, alle in rot gekleidet und mit einem Eis an der Zunge, auch das war festgefroren. Einmal nahm sie die Kurve zu lang, konnte nicht mehr gegensteuern, umrundete ein kleines Mädchen mit langen, blonden Zöpfen und setzte ihren Weg nun in die entgegengesetzte Richtung fort. Der Slalom endete auf dem Zentralplatz, auf dem viele Menschen vor einer Bühne standen. Auf dieser Bühne spielte eine Band Musik, der Sänger stand ganz vorne, fast am Rand und hauchte Liebeslieder in ein Mikrofon. Was für eine schöne Musik, dachte sich Nadine und lauschte andächtig.

Dann wollte sie näher an die Bühne heran, näher an diese wunderschöne Stimme. Sie drängte sich an den Menschen vorbei, die freundlich beiseite traten, um ihr den Weg freizumachen. Dann stand sie ganz vorne, blickte zu dem schönen Mann hinauf, der zu ihr sang.

 - All you need is love.

 - All I need is love. dumdadadum

 - All you need is love.

 - All i need is love.

Er streckte ihr die Arme entgegen und sie zog sich an ihnen hoch auf die Bühne. Sie sangen im Duett bis der Boden unter ihren Füßen nachgab und sie in die Tiefe stürzten.

In der Tiefe war es dunkel, sie spürte, wie der schöne Sänger ihr an den Busen fasste. Sie ließ es geschehen. Aus der Ferne kam das Winseln eines traurigen Hundes. Der Hund weinte. Sie schob den Sänger von sich herunter, er fühlte sich an wie eine Schaufensterpuppe. Das Winseln wurde lauter, den Sänger schien es nicht zu stören, er bewegte sich nicht.

Nadine kroch durch die Dunkelheit in Richtung des Winselns. Sie fühlte kurzes, wuscheliges Haar und eine feuchte Schnauze.

 - Keine Angst mein Kleiner. Ich bin hier. Ich helfe dir.

 - Nadine? fragte der Hund überrascht.

 - Bist du verletzt?

Der Hund winselte wieder.

 - Ich werde dich ins Krankenhaus bringen.

Nadine nahm den Hund auf den Arm. Der Hund war sehr groß und sehr schwer und sie musste all ihre Kraft zusammen nehmen, um ihn hochzuheben. Mit langsamen Schritten tastete sie sich durch die Dunkelheit. Endlich hatte sie einen Ausgang gefunden und mit letzter Kraft schleppte sie den Hund nach draußen. Auf dem beleuchteten Zentralplatz wimmelte es von Polizisten. In der Ferne tönten die Sirenen eines Kranken- oder Feuerwehrwagens. Nadine sank auf die Knie und ließ das schwarzhaarige Wesen in ihren Händen langsam auf den Boden gleiten. Wir brauchen Hilfe, rief sie mit schwacher Stimme, bevor sie auf Bourriezs Brust zusammenbrach.

Sie erwachte am nächsten Tag im Krankenhaus.