Simultan
Toilettenratten
Aus Simultan
Hugo nahm die Gesamtausgabe vom Deckel, keine Ratte.
Arno Schmidts gesammelte Werke lagen schwer und originalboxig immer auf dem Deckel, noch eingeschweißt. Hugo hatte als Teenager eine Dokumentation über Ratten gesehen, die Abflussrohre hoch klettern und seitdem Angst, eine Ratte könnte in seiner Kloschüssel auftauchen. Das war auch der Grund, warum er immer im Stehen machte. Zuhause. Öffentliche Toiletten kamen für Hugo gar nicht in Frage, die erinnerten ihn zu sehr an den Sportunterricht. Duck-Dich-Ball mit Keimen statt mit Bällen, hatte seine Schwester das immer genannt.
Jetzt, wo der Deckel oben war, hatte er das Gefühl, auch machen zu müssen. Zog die Jeans runter, die Unterhose, beides nur halb, nichts durfte den Boden berühren, der so sauber war und glänzte, als käme er Fliese für Fliese aus der Spülmaschine.
Wenn man genau hinguckte, glänzte und glitzerte alles in Hugos Wohnung, der Ofen, die Steckdosen und der Toilettenrollenständer, das Parkett, die Birne im Deckenfluter und die künstliche Efeutute, die er von seiner Schwester zum Geburtstag geschenkt gekriegt hatte, jedes einzelne Blatt, von oben und unten, es glänzte auf dem Kleiderschrank, unter dem Kleiderschrank, hinter dem Kleiderschrank, im Kleiderschrank, die weißen Fliesen im Bad waren kaum vom Spiegel zu unterscheiden und die Fenster wie unsichtbar.
Eine Hummel flog mehrere Male gegen die Scheibe, bis sie endlich kapiert hatte, dass es dort nicht weiterging - der Rekord stammte aus dem letzten Sommer und lag bei sieben Versuchen.
Hugo stand breitbeinig und beugte sich leicht nach vorn, in der einen Hand hielt er den kleinen Hugo, in der anderen den Karton mit Arno Schmidts gesammelten Werken, dessen Platz ja schließlich auf dem Deckel war, und ein anderer Platz, das wäre nicht richtig, fand Hugo, auch wenn es nur für die Dauer seines Toilettenaufenthalts gewesen wäre. Außerdem hatte er so was zum Werfen, für den Fall, dass eine Ratte gerade dann auftauchen sollte.
Beim Abziehen musste Hugo ans Meer denken.