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ESPRIT-Kollektion: Unterschied zwischen den Versionen

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Früher Morgen. [[Marianne|Marianne ]]betrachtet ihr Spiegelbild im Schaufenster der [[ModEsteria|“ModEsteria“]]. Sie dreht ihren Kopf leicht und sieht im neuen Blickwinkel, wie [[Ester_Schneiter|die Inhaberin]] Cardigans an hölzerne Kleiderbügeln hängt, den obersten sowie die zwei untersten Knöpfe aus Messing nicht einschlaufend, um die Silhouette nicht zu vergewaltigen.<br>Marianne hat eben einen Cappuccino getrunken in der Bäckerei gegenüber, den bittersüssen Duft von Kuvertürschokolade noch in der Nase, den kernigen Kaffegeschmack auf der Zunge, das warme Unwohlsein nach dem Verzehr von frischem Brot im Bauch. Gestern ist es spät geworden. Ihr Bruder feierte seinen fünfzigsten Geburtstag und hatte die ehemalige Kaserne sowie einen Cateringservice gemietet. 20 Leute waren geladen, für 25 bestellte er Käse- und Fleischplatten, belegte Brötchen, Gemüse mit Dipsaucen, das ganze Apérosortiment eben und das Dessertbuffet noch dazu. 15 Leute sind gekommen.<br>Die Türglocke bimmelt, das Geräusch vom Schulhof, von echten Schellen. Die Stunde beginnt. Ester mustert die eingetretene Kundin aus den Augenwinkeln im Wandspiegel, bevor sie sich ihr zuwendet. Marianne trägt die Kleider vom Vorabend: ein langes Sommerkleid, aus hellen Leinen gewoben, sehr schlicht und einfach geschnitten, die Taille zu tailliert, dafür unten weit auslaufend, am rechten Bein aufgeschlitzt, den Rand doppelt umgekrempelt. Was das Kleid unten verhüllt, sollte es oben betonen, im eckigen Ausschnitt blitzt die von Marianne unglücklich gewählte Lingerie hervor, an der sie ständig rumzupft und in der sich die kitzelnden Haarspitzen verfangen. Ihr Haar ist lang und füllig, über ihren Schultern nach aussen gewellt. Es ist rötlich getönt, die dunkelblonde Naturfarbe schimmert am Haaransatz durch. Marianne trägt eine Brille in der Naturfarbe ihres Haares. Die Plateauschuhe sind beige, der hohe Sockel aus Holz. Marianne wirkt gross und massig. Ester wundert sich still über die overdresste Kundin.<br>„Guete Morge.Was chani für Öich mache?“<br>„Grüessechwou. Ig suche e Handtäsche… Gsehter die? Die isch mir chli z’gross.“ Mariannes Handtasche sieht aus wie eine Strandtasche, in der ein Sonnenschirm und ein Fussball Platz finden.<br>Ester schaut ihr in die Augen. Sie liegen tief im Kopf, unterhalb der markigen Augenbrauen. Es sind Augenbrauen, wie sie sonst nur Männer haben, doch in Mariannes Gesicht stören sie nicht. Sie geben dem Gesicht Charakter, wer mit ihr spricht, wünscht, sie möge sie hochziehen und Aufmerksamkeit zeigen.<br> „Ig hätnech hie e Collection us üsem Italie. E befründete Designer…“<br>Ester liebkost die weisse Ledertasche, die Finger gekrümmt, damit ihre prunkigen Ringe das Leder nicht zerkratzen. Marianne steht neben ihr und lässt ihren Blick gedankenverloren über die Handtaschenauslage schweifen. „Heit dir öppis weniger heikus? Gad itz ufe Winter hii...“ Es ist Herbst. Marianne kleidet sich nach dem Baum vor ihrem Fenster, den Farben der Natur. Weiss im Winter. Nein, das war einmal.<br>Eine weitere Kundin betritt den Laden. Ohne zu grüssen, wühlt sie in den frisch geordneten Cardigans herum. „Entschoudiget mi es Momentli.“ Ester wendet sich der neuen Kundin zu, Marianne spitzt die Ohren, hört nur Gemurmel. Ester kommt zurück.<br>„So. Heit dir e Uswau troffe?“<br>„Nei, no gad nid.“<br>Trotzdem bleibt Ester nahe bei Marianne stehen: „Darf Ig Öich frage, wo Dir das Chleid kouft heit?“<br>„Im Esprit-Laden…“<br>„Hmm.“<br>„Gäued, s‘isch schön? Esprit het so viu schöni Sache… Abr das wüsset Dir ja sicher o!“<br>„Ja, sicher!“<br><br>„Heit dir e Uswau troffe?“<br>Marianne greift willkürlich nach einer brombeeren Tasche, gross wie eine Migros-Papiertüte und aus ähnlich kraschelndem Stoff. „Ig nim gloub die.“<br>Lachen. Lächeln. „Gärn. De gö mir doch zu Kasse?“<br>Aus ihrem Strandbag kramt Marianne ihren schicken, weissen Geldbeutel hervor.<br>„450 Franke.“<br>Sie bezahlt die neue Tasche und verstaut die alte darin.<br>
 
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Marianne betritt die Modeboutique “ModEsteria“ an der Untergasse 26, das Geschäft von Ester Schneiter. Es ist noch früh, der Laden hat erst gerade aufgemacht. Die Inhaberin ist damit beschäftigt, Pullover zusammen zu legen und zu stapeln.<br>Marianne hatte eben einen Kaffee getrunken. Im Café gegenüber. Gestern wurde es wieder spät. Sie war mit ihrem Mann an ein Fest eingeladen, in einer ehemaligen Kaserne. Ihr Freund Paul Gerster feierte seinen fünfzigsten Geburtstag. Es gab viel zu essen und zu trinken. Einige seiner Freunde hatten auch eine Tanznummer für ihn vorbereitet. Marianne hatte sich für den Anlass ein neues Kleid gekauft. Und zwar in der Esprit-Laden, im Ausverkauf. <br>Ester Schneiter dreht sich zu Marianne um, nachdem sie durch die Türglocke deren Eintreten bemerkte. Marianne trägt noch immer die Kleider vom Vorabend: das lange Sommerkleid, es ist braun mit weissem Blumenmuster. Ihr Haar ist lang und über ihren Schultern nach aussen gewellt. Es ist blond-braun. Marianne trägt eine Brille. Ihre Absatzschuhe sind beige. Sie ist schlank. Ester Schneiter weiss nichts von dem Anlass am Vorabend, aber sie wundert sich über die elegant gekleidete Kundin, so früh am Morgen.<br>„Guten Tag“, sagt Ester Schneiter. „Was kann ich für Sie tun?“<br>„Guten Tag. Ich suche eine Handtasche… Sehen Sie die hier?“ Marianne hält ihre Handtasche hoch, so dass Ester Schneiter sie sehen kann. „Die ist viel zu gross!Die Handtasche von Marianne sieht aus wie eine Strandtasche, in der ein Sonnenschirm und ein Fussball Platz finden müssten.<br>Ester Schneiter schaut Marianne in die Augen. Sie liegen tief in ihrem Kopf, unterhalb von den markigen dunkelbraunen Augenbrauen. Es sind Augenbrauen, wie sie sonst nur Männer haben, aber in Mariannes Gesicht stören sie nicht. Sie geben dem Gesicht Charakter, und wenn man mit ihr spricht, wünscht man sich, dass sie sie hochzieht, um zu zeigen, dass sie einem zuhört. Marianne hat volle Lippen, die rot angemalt sind. Nicht von gestern, sondern von heute früh.<br>Marianne mag es nicht, dass man immer gleich von oben bis unten gemustert wird, wenn man ein Kleidergeschäft betritt. Die Verkäuferinnen versuchen immer, die Kundinnen einzustufen. Ob sie Geld haben, ob sie etwas wollen, welchen Stil sie haben. Oder: Haben sie überhaupt Geld, wollen sie überhaupt etwas, haben sie überhaupt Stil. Marianne kann sich sehen lassen. Aber sie frequentiert doch nur bestimmte Geschäfte, in denen man ungezwungen mit der Kundschaft umgeht. Und die nicht zu teuer sind.<br>„Ich habe hier eine Kollektion aus Italien“, sagt Ester Schneiter. „Ein junger Designer…“<br>Ester Schneiter streicht mit der Hand über eine weisse Ledertasche mit grünen Punkten. Marianne steht neben ihr und lässt den Blick über die Handtaschenauslage gleiten. „Haben Sie vielleicht auch etwas weniger Grelles? Ich finde, diese Farben passen nicht zur Jahreszeit.“ Es ist Spätsommer, und Marianne legt Wert darauf, sich nach den gerade aktuellen Farben der Natur zu kleiden. Im Frühjahr würde sie eine solche Handtasche vielleicht tragen, aber jetzt, wo die Blätter ihre Farben verlieren, bevorzugt sie doch eher ruhige Farben.<br>Eine weitere Kundin betritt den Laden. Sie begrüsst die beiden Frauen und geht in Richtung einer Wand, an der Blusen und Jacken hängen. Sie hat kurzes, oranges Haar, trägt eine wollene Umhängetasche und sieht auch sonst durch und durch alternativ aus. An ihrer Wolltasche hängt eine Gummiente, und in den Haaren trägt sie einen Haarreif. Ester Schneiter schaut sie kurz von oben bis unten an und fragt sich, was sie in ihrem Geschäft verloren hat.<br>„Entschuldigen Sie mich bitte...!, sagt Ester Schneiter zu Marianne und geht in Richtung der Frau. Marianne hört das Gemurmel eines Gesprächs.<br>„Haben Sie sich schon entschieden?“, fragt Ester Schneiter Marianne, nachdem sie die unerwünschte Frau abwimmelte.<br>„Nein, ich brauche noch einen Augenblick…“<br>Ester Schneiter steht dicht neben Marianne und schaut sich den Stoff ihres Kleides an. „Darf ich Sie fragen, von wo Sie dieses Kleid haben?“<br>„Aus dem Esprit-Laden…“<br>„Das ist ein aussergewöhnlich schöner Stoff!“, sagt Ester Schneiter. „Ich hätte nicht gedacht, dass Esprit solche schönen Stoffe führt.“<br>„Doch, doch… Esprit hat viele schöne Dinge… Sie müssen nur mal schauen gehen! Die Konkurrenz ausspionieren!“<br>„Ja, das wäre vielleicht eine gute Idee… Aber wissen Sie, seit einiger Zeit mache ich einen grossen Bogen um Esprit…“<br>Marianne schaut wieder auf den Tisch mit den Handtaschen, hebt eine pastellfarbene hoch und sie Ester Schneiter hin. „Ich glaube, ich nehme diese hier!“<br>„Darf ich Sie dann gleich zur Kasse bitten?“<br>Erst als Marianne zur Kasse geht, fällt Ester Schneiter auf, wie gross sie ist. Ein Meter achtzig, mindestens. Sie hat unendlich lange Beine, die unter dem Kleid hervorlugen. Aus ihrer alten Handtasche kramt sie ihr Portemonnaie und bezahlt die neue.<br>  
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[[Category:Marianne]]
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Version vom 24. Oktober 2008, 10:50 Uhr

Früher Morgen. Marianne betrachtet ihr Spiegelbild im Schaufenster der “ModEsteria“. Sie dreht ihren Kopf leicht und sieht im neuen Blickwinkel, wie die Inhaberin Cardigans an hölzerne Kleiderbügeln hängt, den obersten sowie die zwei untersten Knöpfe aus Messing nicht einschlaufend, um die Silhouette nicht zu vergewaltigen.
Marianne hat eben einen Cappuccino getrunken in der Bäckerei gegenüber, den bittersüssen Duft von Kuvertürschokolade noch in der Nase, den kernigen Kaffegeschmack auf der Zunge, das warme Unwohlsein nach dem Verzehr von frischem Brot im Bauch. Gestern ist es spät geworden. Ihr Bruder feierte seinen fünfzigsten Geburtstag und hatte die ehemalige Kaserne sowie einen Cateringservice gemietet. 20 Leute waren geladen, für 25 bestellte er Käse- und Fleischplatten, belegte Brötchen, Gemüse mit Dipsaucen, das ganze Apérosortiment eben und das Dessertbuffet noch dazu. 15 Leute sind gekommen.
Die Türglocke bimmelt, das Geräusch vom Schulhof, von echten Schellen. Die Stunde beginnt. Ester mustert die eingetretene Kundin aus den Augenwinkeln im Wandspiegel, bevor sie sich ihr zuwendet. Marianne trägt die Kleider vom Vorabend: ein langes Sommerkleid, aus hellen Leinen gewoben, sehr schlicht und einfach geschnitten, die Taille zu tailliert, dafür unten weit auslaufend, am rechten Bein aufgeschlitzt, den Rand doppelt umgekrempelt. Was das Kleid unten verhüllt, sollte es oben betonen, im eckigen Ausschnitt blitzt die von Marianne unglücklich gewählte Lingerie hervor, an der sie ständig rumzupft und in der sich die kitzelnden Haarspitzen verfangen. Ihr Haar ist lang und füllig, über ihren Schultern nach aussen gewellt. Es ist rötlich getönt, die dunkelblonde Naturfarbe schimmert am Haaransatz durch. Marianne trägt eine Brille in der Naturfarbe ihres Haares. Die Plateauschuhe sind beige, der hohe Sockel aus Holz. Marianne wirkt gross und massig. Ester wundert sich still über die overdresste Kundin.
„Guete Morge.Was chani für Öich mache?“
„Grüessechwou. Ig suche e Handtäsche… Gsehter die? Die isch mir chli z’gross.“ Mariannes Handtasche sieht aus wie eine Strandtasche, in der ein Sonnenschirm und ein Fussball Platz finden.
Ester schaut ihr in die Augen. Sie liegen tief im Kopf, unterhalb der markigen Augenbrauen. Es sind Augenbrauen, wie sie sonst nur Männer haben, doch in Mariannes Gesicht stören sie nicht. Sie geben dem Gesicht Charakter, wer mit ihr spricht, wünscht, sie möge sie hochziehen und Aufmerksamkeit zeigen.
„Ig hätnech hie e Collection us üsem Italie. E befründete Designer…“
Ester liebkost die weisse Ledertasche, die Finger gekrümmt, damit ihre prunkigen Ringe das Leder nicht zerkratzen. Marianne steht neben ihr und lässt ihren Blick gedankenverloren über die Handtaschenauslage schweifen. „Heit dir öppis weniger heikus? Gad itz ufe Winter hii...“ Es ist Herbst. Marianne kleidet sich nach dem Baum vor ihrem Fenster, den Farben der Natur. Weiss im Winter. Nein, das war einmal.
Eine weitere Kundin betritt den Laden. Ohne zu grüssen, wühlt sie in den frisch geordneten Cardigans herum. „Entschoudiget mi es Momentli.“ Ester wendet sich der neuen Kundin zu, Marianne spitzt die Ohren, hört nur Gemurmel. Ester kommt zurück.
„So. Heit dir e Uswau troffe?“
„Nei, no gad nid.“
Trotzdem bleibt Ester nahe bei Marianne stehen: „Darf Ig Öich frage, wo Dir das Chleid kouft heit?“
„Im Esprit-Laden…“
„Hmm.“
„Gäued, s‘isch schön? Esprit het so viu schöni Sache… Abr das wüsset Dir ja sicher o!“
„Ja, sicher!“

„Heit dir e Uswau troffe?“
Marianne greift willkürlich nach einer brombeeren Tasche, gross wie eine Migros-Papiertüte und aus ähnlich kraschelndem Stoff. „Ig nim gloub die.“
Lachen. Lächeln. „Gärn. De gö mir doch zu Kasse?“
Aus ihrem Strandbag kramt Marianne ihren schicken, weissen Geldbeutel hervor.
„450 Franke.“
Sie bezahlt die neue Tasche und verstaut die alte darin.