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− | Es geht das Gerücht einer Samstagskrankheit um, ein unerklärliches Phänomen, das wöchentlich einen x-beliebigen Stadtbewohner trifft, so als handle es sich um einen schlafenden Bazillus, der die restlichen Tage der Woche wandert und brütet, um in der Nacht vom Freitag auf den Samstag im Kopf irgend eines Bürgers zur Reife zu gelangen und auszubrechen. Den Betroffenen (bis jetzt sind immer nur Einzelfälle beobachtet worden) nennt man: „[[Le fou de la place]]“, die Orte, an denen der Verrückte auftritt: „[[La place du fou]]“. Die Orte sind so unterschiedlich wie die Gestalt des Wahns der Verrückten. So konnte man vergangenen Samstag einen „Fou de la place“ auf einer [[20071006|Strassenlaterne]] beim Verteidigen der schwarzen Schafe beobachten, andere Fälle mit anderen Anliegen traten seit Herbstbeginn bereits am Seeufer, im Wartesaal des [[La gare|Bahnhofes]], im zehnten Stock eines Bürogebäudes und heute um 11h32 in der Haushaltgeräteabteilung des grössten Warenhauses der Stadt auf. Ein Mann durchschnittlichen Alters mit durchschnittlicher Frisur und in durchschnittlicher Kleidung in Brauntönen stiess plötzlich, ohne offensichtlichen Grund, einen Schrei aus, der, in den obersten Tönen, die Werbeberieselung aus den Lautsprechern für mehr als 6 Sekunden akustisch platt drückte. Dann holte der Verrückte tief Luft und stiess noch einmal drei kurze Schreie aus, bevor er unter wildem Schnaufen und Zischen mit den Fäusten auf ein Regal einzuhauen begann. Eine für die umstehenden Kunden und Verkäufer absolut willkürliche Tat, ein kleiner Amoklauf gegen unschuldige, von den Angestellten fein säuberlich aufgehängte Staubsaugersäcke in gelben Kartons. Eine Schachtel nach der anderen platzte unter den niederprasselnden Fäusten auf. Staubsäugersäcke in allen Formaten flogen durch die Luft und verteilten sich wie grosse Schneeflocken über die Häupter der Kunden, über Kaffeemaschinen und Zitronenpressen. „Der Bazillus hat wieder zugeschlagen!“ rief ein älterer Herr, „Le fou, le fou de la place!“ konterte eine Dame mit Hündchen.<br>Die Abteilungsleiter der Etage waren sofort an Ort und Stelle und packten den Wütigen an Armen und Beinen, zwangen ihn durch den Dienstausgang zum Warenlift. Dies geschah nicht lautlos. „Warum führt ihr mein Modell nicht mehr!“ konnte man den „Fou de la place“ noch schreien hören, „ihr habt mir vor fünf Jahren einen Staubsauger verkauft, und nun führt ihr mein Staubsaugersackmodell nicht mehr! Ich habe keine Säcke mehr und ich kann nicht mehr staubsaugen. Meine Wohnung erstickt im Staub! Und ihr wollt mich dazu zwingen, einen neuen Staubsauger zu kaufen! Ihr Gauner, ihr Abzocker, ihr elenden Konsumverbrecher! Ihr verfluch… “ Dies waren seine letzten Worte, dann schnitt ihm die Warenlifttür das Wort ab.<br> | + | Es geht das Gerücht einer Samstagskrankheit um, ein unerklärliches Phänomen, das wöchentlich einen x-beliebigen Stadtbewohner trifft, so als handle es sich um einen schlafenden Bazillus, der die restlichen Tage der Woche wandert und brütet, um in der Nacht vom Freitag auf den Samstag im Kopf irgend eines Bürgers zur Reife zu gelangen und auszubrechen. Den Betroffenen (bis jetzt sind immer nur Einzelfälle beobachtet worden) nennt man: „[[Le fou de la place]]“, die Orte, an denen der Verrückte auftritt: „[[La place du fou]]“. Die Orte sind so unterschiedlich wie die Gestalt des Wahns der Verrückten. So konnte man vergangenen Samstag einen „Fou de la place“ auf einer [[20071006|Strassenlaterne]] beim Verteidigen der schwarzen Schafe beobachten, andere Fälle mit anderen Anliegen traten seit Herbstbeginn bereits am Seeufer, im Wartesaal des [[La gare|Bahnhofes]], im zehnten Stock eines Bürogebäudes und heute um 11h32 in der Haushaltgeräteabteilung des grössten Warenhauses der Stadt auf. Ein Mann durchschnittlichen Alters mit durchschnittlicher Frisur und in durchschnittlicher Kleidung in Brauntönen stiess plötzlich, ohne offensichtlichen Grund, einen Schrei aus, der, in den obersten Tönen, die Werbeberieselung aus den Lautsprechern für mehr als 6 Sekunden akustisch platt drückte. Dann holte der Verrückte tief Luft und stiess noch einmal drei kurze Schreie aus, bevor er unter wildem Schnaufen und Zischen mit den Fäusten auf ein Regal einzuhauen begann. Eine für die umstehenden Kunden und Verkäufer absolut willkürliche Tat, ein kleiner Amoklauf gegen unschuldige, von den Angestellten fein säuberlich aufgehängte Staubsaugersäcke in gelben Kartons. Eine Schachtel nach der anderen platzte unter den niederprasselnden Fäusten auf. Staubsäugersäcke in allen Formaten flogen durch die Luft und verteilten sich wie grosse Schneeflocken über die Häupter der Kunden, über Kaffeemaschinen und Zitronenpressen. „Der Bazillus hat wieder zugeschlagen!“ rief ein älterer Herr, „Le fou, le fou de la place!“ konterte eine Dame mit Hündchen.<br>Die Abteilungsleiter der Etage waren sofort an Ort und Stelle und packten den Wütigen an Armen und Beinen, zwangen ihn durch den Dienstausgang zum Warenlift. Dies geschah nicht lautlos. „Warum führt ihr mein Modell nicht mehr!“ konnte man den „Fou de la place“ noch schreien hören, „ihr habt mir vor fünf Jahren einen Staubsauger verkauft, und nun führt ihr mein Staubsaugersackmodell nicht mehr! Ich habe keine Säcke mehr und ich kann nicht mehr staubsaugen. Meine Wohnung erstickt im Staub! Und ihr wollt mich dazu zwingen, einen neuen Staubsauger zu kaufen! Ihr Gauner, ihr Abzocker, ihr elenden Konsumverbrecher! Ihr verfluch… “ Dies waren seine letzten Worte, dann schnitt ihm die Warenlifttür das Wort ab.<br> |
[[Category:Stadttagebuch]] | [[Category:Stadttagebuch]] | ||
+ | [[Category:Le fou de la place]] |
Aktuelle Version vom 29. Oktober 2010, 11:19 Uhr
Es geht das Gerücht einer Samstagskrankheit um, ein unerklärliches Phänomen, das wöchentlich einen x-beliebigen Stadtbewohner trifft, so als handle es sich um einen schlafenden Bazillus, der die restlichen Tage der Woche wandert und brütet, um in der Nacht vom Freitag auf den Samstag im Kopf irgend eines Bürgers zur Reife zu gelangen und auszubrechen. Den Betroffenen (bis jetzt sind immer nur Einzelfälle beobachtet worden) nennt man: „Le fou de la place“, die Orte, an denen der Verrückte auftritt: „La place du fou“. Die Orte sind so unterschiedlich wie die Gestalt des Wahns der Verrückten. So konnte man vergangenen Samstag einen „Fou de la place“ auf einer Strassenlaterne beim Verteidigen der schwarzen Schafe beobachten, andere Fälle mit anderen Anliegen traten seit Herbstbeginn bereits am Seeufer, im Wartesaal des Bahnhofes, im zehnten Stock eines Bürogebäudes und heute um 11h32 in der Haushaltgeräteabteilung des grössten Warenhauses der Stadt auf. Ein Mann durchschnittlichen Alters mit durchschnittlicher Frisur und in durchschnittlicher Kleidung in Brauntönen stiess plötzlich, ohne offensichtlichen Grund, einen Schrei aus, der, in den obersten Tönen, die Werbeberieselung aus den Lautsprechern für mehr als 6 Sekunden akustisch platt drückte. Dann holte der Verrückte tief Luft und stiess noch einmal drei kurze Schreie aus, bevor er unter wildem Schnaufen und Zischen mit den Fäusten auf ein Regal einzuhauen begann. Eine für die umstehenden Kunden und Verkäufer absolut willkürliche Tat, ein kleiner Amoklauf gegen unschuldige, von den Angestellten fein säuberlich aufgehängte Staubsaugersäcke in gelben Kartons. Eine Schachtel nach der anderen platzte unter den niederprasselnden Fäusten auf. Staubsäugersäcke in allen Formaten flogen durch die Luft und verteilten sich wie grosse Schneeflocken über die Häupter der Kunden, über Kaffeemaschinen und Zitronenpressen. „Der Bazillus hat wieder zugeschlagen!“ rief ein älterer Herr, „Le fou, le fou de la place!“ konterte eine Dame mit Hündchen.
Die Abteilungsleiter der Etage waren sofort an Ort und Stelle und packten den Wütigen an Armen und Beinen, zwangen ihn durch den Dienstausgang zum Warenlift. Dies geschah nicht lautlos. „Warum führt ihr mein Modell nicht mehr!“ konnte man den „Fou de la place“ noch schreien hören, „ihr habt mir vor fünf Jahren einen Staubsauger verkauft, und nun führt ihr mein Staubsaugersackmodell nicht mehr! Ich habe keine Säcke mehr und ich kann nicht mehr staubsaugen. Meine Wohnung erstickt im Staub! Und ihr wollt mich dazu zwingen, einen neuen Staubsauger zu kaufen! Ihr Gauner, ihr Abzocker, ihr elenden Konsumverbrecher! Ihr verfluch… “ Dies waren seine letzten Worte, dann schnitt ihm die Warenlifttür das Wort ab.